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Während wir Frauen uns den vielen unbekannten Empfindungen eines Geburtsaktes hingeben, durchleben wir hormonell betrachtet einen Liebesakt. Das macht es für uns Frauen überhaupt möglich, diese physische Grenzerfahrung des Gebärens als positive Erfahrung erleben zu können. Warum aber ist die Geburt ihres Kindes für so viele Frauen alles andere als eine positive Selbsterfahrung? Woran liegt das? Und was kann ich als werdende Mutter tun, damit ich die Geburt meines Kindes positiv und im Sinne der weiblichen Urnatur erfahren kann?

Wenn wir uns auf eine Geburt vorbereiten, dann legen wir Frauen den Fokus meist auf eine mögliche Geburtserleichterung. Wir erlernen Atemtechniken, die uns helfen die Geburtskraft leichter durch unseren Körper fließen zu lassen. Wir arbeiten an unserem Körpergefühl und unserer Wahrnehmung, damit wir erspüren können, welche Bewegungen und Körperhaltungen unserem Baby an der richtigen Stelle Weichheit und Raum schaffen, damit es ohne großen Widerstand durch uns hindurchgleiten kann. Wir stärken den Kontakt zwischen uns und unserem Baby, damit wir diesen intensiven körperlichen Grenzgang als gemeinsame Reise – als Tanz und ja, sogar als Liebesakt – erfahren können, anstatt dem anderen als Widerstand und schmerzvolles Pendant zu begegnen. Wir umgeben uns mit Menschen, die uns wohlgesonnen sind und uns in unserem Sinne unterstützen und begleiten.

Wir erhoffen uns von all diesen Vorbereitungen, dass wir uns dann, wenn der Moment gekommen ist und unser Kind geboren werden will, dieser Erfahrung fügen können, ohne dabei übermäßiges körperliches Leid erfahren zu müssen. Wir alle wünschen uns, dass wir die Geburt unseres Kindes so rasch und unkompliziert, und vor allem so schmerzreduziert wie möglich, erfahren können.

Geburt als Übergangsritus

Die Geburt an sich hat jedoch immer den Charakter eines Übergangsritus. Sie markiert den Lebensübergang von zwei Individuen in eine ganz neue Form der Existenz. Für einen neuen Menschen ist es der Weg ins Leben außerhalb der Alleinheit. Für einen anderen Menschen bedeutet es Mutter eines neuen Menschen zu sein und damit in einen neuen Lebensabschnitt überzugehen, für dessen Bewältigung ganz neue Ressourcen geschaffen werden müssen als es für ihr bisheriges Leben notwendigen waren. Diesem Übergangsritus obliegt es von Natur aus, in uns Menschen jene Ressourcen zu generieren und Fähigkeiten in uns hervorzubringen, um diesem neuen Leben gewachsen zu sein. Die Geburtskraft trägt uns in diesem Sinne mit jedem Geburtsfortschritt ein wenig weiter über unsere bisher gekannten körperlichen und mentalen Grenzen hinaus. Mit einer liebevollen mentalen Begleitung – und manchmal auch der nötigen körperlichen Stütze – schaffen wir es, uns der Geburtskraft mit jeder zunehmenden Intensität zu fügen und uns dazu aufzuraffen, weiter durchzuhalten und unser Bestes zu geben. Und doch treibt uns die Geburtskraft unweigerlich jenem Punkt entgegen, an welchem all unsere inneren Ressourcen zur positiven Geburtsbewältigung versiegen. Es gibt keine Position mehr, die sich noch richtig anfühlt und die diese physische Grenzerfahrung erträglicher erscheinen lässt. Es gibt keinen Tönen mehr, das den Druck und inneren Widerstand noch mindern könnte. Auch die letzte mentale Kraft zur positiven Selbstmotivation geht damit zur Neige.

Doch mit dem Versiegen allen Mutes und aller Hoffnung bietet uns der Übergangsritus Geburt eine der mächtigsten Lehren, die uns das Leben überhaupt zuteilwerden lässt: Die Erfahrung der Hingabe. An jenem markanten Punkt, an dem wir uns als Frau so sehr in der Übermacht der Geburtskraft zu verlieren scheinen, dass jegliche Hoffnung verschwindet, tut sich eine Wegscheide auf, an welcher sich für uns häufig entscheidet, ob wir die Geburt unseres Kindes als positive oder negative Selbsterfahrung in Erinnerung behalten. Wird uns an dieser Wegscheide durch das Verhalten unserer Begleiter durch übermäßig kontrollierendes Verhalten vermittelt, dass wir uns in Gefahr befinden und sowohl Anleitung als auch Hilfe benötigen, um aus dieser Situation heil herauszukommen, so empfinden wir diesen Übergang als ohnmächtiges Erliegen einer Übermacht. Wir werden passiv – beginnen hinzunehmen, was uns gerade widerfährt. An dieser Stelle kommt es sehr häufig zu groben physischen Eingriffen in die Intimsphäre und auch die Würde von uns Frauen, wenn der Geburtsprozess sprichwörtlich aus unseren Händen genommen wird. Einzig und allein die Tatsache, am Ende dieser Prozedur das lange ersehnte Kind in den Armen zu halten, lässt uns dann hinnehmen, was uns bei der Geburt unseres Kindes widerfährt. Wird uns jedoch durch achtsame, zurückhaltende und geduldige Begleiter das Gefühl des Gewahrseins entgegengebracht – wird uns also vermittelt, dass alles so sein darf, wie es ist, dass alles seine Richtigkeit hat und dass man sich jetzt all den übermächtigen Empfindungen völlig wertfrei und in absoluter Geborgenheit hingeben darf, dann endet jedes Hinnehmen und verwandelt sich in Hingabe – in völlig wertfreies Annehmen von dem, was ist. Dann erwacht in uns Frauen die Fähigkeit, über uns selbst hinauszuwachsen. Im wertungsfreien Empfinden aller Empfindungen verliert Schmerz seine Bedeutung und wird lediglich zu einer körperlichen Wahrnehmung, die keinerlei Wichtigkeit mehr für uns hat. Unser Fokus weicht von der Wertung der Empfindung ab und wir spüren lediglich die volle Kraft in uns, die uns in diesem Moment durchströmt. Ohne den Widerstand des Schmerzes in uns können wir plötzlich wahrnehmen, wie sich diese Kraft in uns ausrichtet und wie sie unser Kind in unserem Körper abwärts bewegen will. Diese Kraft ist so übermächtig, dass wir uns ihr überhaupt nicht widersetzen können und so lassen wir uns hineinfallen in diesen Fluss. Wir werden zu diesem Fluss. Und diese Erfahrung ist es, die Gebären aus eigener Kraft wirklich ausmacht. Aus dieser Kraft heraus, erwacht ein mächtiger innerer Trieb, der uns instinktiv die richtige Haltung einnehmen lässt, um unser Kind ohne inneren Widerstand freizugeben. Die abwärtsfließende Kraft in unserem Körper wird so übermächtig, dass wir ihr nichts mehr entgegenzusetzen haben. Wir kennen dieses Kraft vom Niesen oder auch vom Erbrechen – allerdings in entgegengesetzter Richtung. Sie durchströmt uns unaufhaltsam und tut ihre Arbeit, ganz ohne Anleitung oder gar durch innere Kontrolle. Wir können uns dieser Kraft dann voll Genuss hingeben und erleben, wozu unser weiblicher Körper eigentlich fähig ist. Durch die Geburtshormone erleben wir diesen Moment dann als absolute Hingabe in Liebe und voller Kraft – als einen unbeschreiblich großartigen Liebesakt. Dann wird aus dem, was wir sonst als schmerzvollen Akt verstehen, den wir einfach über uns ergehen lassen müssen, ein Akt der Hingabe an das, was uns das Leben abverlangt, um Mutter zu sein. Die Erfahrung, in diesem Fluss zu sein und sich einmal voll und ganz mit dieser Urkraft der Frauen und der Geburt verbunden zu haben, verändert uns Frauen dauerhaft und macht uns zu kraftvollen, instinktiven Müttern, die davon überzeugt sind, dass es keine Herausforderung gibt, die sie oder ihr Kind nicht bewältigen können. Sie lässt uns mit Würde und Bewunderung unseren Mutter-Körper betrachten und uns lieben, wie wir sind, mit all unseren Eigenheiten. Sie lässt die Überzeugung „Es gibt nichts, was ich nicht schaffen kann.“ in uns körperlich spürbar werden. Die Geburt des eigenen Kindes auf diese Art und Weise zu erleben, schafft eine tiefe emotionale Bindung zueinander und bietet den besten Start ins Leben, sowohl für das Kind als auch für die Mutter.

Was braucht es, damit Hingabe möglich wird?

Das, was Geburt zu einer positiven Selbsterfahrung werden lässt, ist nicht die eine oder andere Bewältigungstechnik, sondern die Fähigkeit, sich dem hinzugeben, was gerade mit uns geschieht, wenn uns die Geburtskraft erfasst. Eine sehr ruhige, achtsame und intime Atmosphäre – das Gefühl der bedingungslosen Geborgenheit – das Gefühl der Normalität und der natürlichen Ordnung – das Vertrauen darin, dass alles seine Richtigkeit hat – schafft in uns Gewahrsein und damit den Raum dafür, alle Empfindungen einfach da sein zu lassen, ohne sich ihnen zu widersetzen. Denn einzig und alleine dieser innere Widerstand gegen die Empfindung ist es, was den Schmerz in uns übermächtig erscheinen lässt. Der empfundene Schmerz kann ein wahrer Verbündeter werden, wenn wir ihn wertungsfrei wahrnehmen. Er macht uns mobil und regt uns dazu an, uns so zu bewegen, dass wir unserem Kind den geringst möglichen Widerstand bieten. Wenn wir den Schmerz nicht fürchten, sondern den Mut finden, in ihn hineinzu atmen – ihm Raum zu geben – dann gehen wir aus dem inneren Widerstand heraus. Wenn wir in uns hineinspüren, finden wir einen klare Antwort darauf, was wir tun können, damit er erträglich wird – sei es der Wunsch nach einer heißen Auflage, einer heißen Tasse endorphinanregendem Kakao, eine Liebeshormon-anregende Umarmung, ein warmes Bad oder kraftvoller Gegendruck auf die Lendenwirbelsäule. Sind wir im Widerstand gegen den Schmerz, dann wird er übermächtig, denn jede innere Anspannung, die sich gegen ihn richtet, verstärkt ihn naturgemäß. Befinden wir uns in einer angespannten Atmosphäre oder in Gegenwart von Menschen, die uns daran hindern, diesen Bedürfnissen nachzukommen, wird uns damit auch jegliche Möglichkeit genommen, in unserer Hingabe zu bleiben und den Schmerz als Verbündeten zu sehen. Dann wird er stärker, machtvoller und zum Feind und wir brauchen Hilfe von außen, um ihm angemessen zu begegnen.

Dein Warum

Damit wir uns mit Leib und Seele dem hingeben können, was mit uns bei der Geburt unseres Kindes geschieht, müssen wir „Dienerin der Sache“ werden. Dafür braucht es das Bewusstsein, welchen Sinn es hat, sich eine Geburt mit all ihren Herausforderungen aus eigener Kraft zu stellen. Wenn wir bedenken, welche Hormone eine Geburt von Natur aus steuern und unterstützen – das Liebes- und Bindungshormone Oxytocin, Prostaglandine, Endorphine – dann wird uns klar, dass Gebären von der Natur als positive Selbsterfahrung ausgelegt ist. Welchen Mehrwert hat so eine Erfahrung für mich und mein Kind? Warum will ich es nicht einfach unter Betäubung und mit dem Beigeschmack der Ohnmacht in die Hände eines Arztes gebären, der vielleicht gar nicht so sehr im Dienste der Sache steht, wie ich es mir eigentlich erwarte? Wenn ich weiß, warum ich diesen Weg der Selbsterfahrung wähle, dann finde ich auch den Mut, um alle organisatorischen Entscheidungen hinsichtlich der Geburt so zu treffen, dass sie – ebenso wie ich – im Dienste einer positiven Geburtserfahrung stehen. Daher ist eine der wichtisten Vorbereitungen im Hinblick auf eine möglichst positive Geburtserfahrung, einen gewahrsamen Rahmen mit den richtigen Begleitpersonen für eine Geburt in Hingabe zu schaffen. Alle anderen Maßnahmen der persönlichen körperlichen und mentalen Vorbereitung auf eine Geburt aus eigener Kraft sind wichtig und hilfreich und tragen maßgeblich dazu bei, dass wir uns physisch und mental in der Lage fühlen, unseren Empfindungen mit der nötigen Eigenständigkeit zu begegnen. Damit können wir in unserer Geburtsarbeit selbstbestimmt bleiben und brauchen keine Anleitung oder nur geringfügige Unterstützung darin, unserem Körpergefühl zu folgen. Doch vor allen anderen Maßnahmen ist es die Fähigkeit der Hingabe, die wir stärken sollten.

So kannst du deine Hingabefähigkeit für die Geburt stärken

Spüre die Schwerkraft, die dich trägt.

Das ist eine Übung, die ich jeder werdenden Mutter nahelege: Bette dich auf einer relativ stabilen Unterlage, so dass du gut liegst und sich auch dein Baby in dieser Haltung wohlfühlt. Atme langsam und ganz im Rhythmus deiner natürlichen Atmung. Spüre, welche Teile deines Körpers von der Atmung bewegt werden. Dann spüre langsam in dich hinein, welche Teile deines Körpers von der Unterlage berührt werden. Spüre, wie schwer die einzelnen Körperregionen auf der Unterlage aufliegen. Spüre nach und nach die ganze Schwere deines Körpers. Diese Schwere ist die Kraft, mit welcher dich Mutter Erde festhält und trägt. Es ist ihre Anziehungskraft, die du spürst. Diese Kraft ist es, welcher du dich dann in vollem Vertrauen hingeben und anvertrauen darfst, wenn dich die Empfindungen und Gefühle während der Geburt übermannen. Lass dich in diese Schwere hineinsinken wie in eine liebevolle Umarmung. Dieser Kraft darfst du dann dein Kind anvertrauen, denn sie ist es, die dein Kind aus deinem Körper tragen wird. Bei der Geburt wird dir die Hingabe an die Schwerkraft, deine Hingabe an die Geburtskraft erleichtern und es dir ermöglichen, jeden inneren Widerstand aufzugeben.

Annehmen, was ist.

Unser Alltag bietet uns täglich unzählige Gelegenheiten, unsere Emotionen wahrzunehmen, physische Empfindungen zu erfahren und diese unserer Bewertung zu unterziehen. Das tun wir auch gewöhnlich. Alles wird bewertet: als gut, schlecht, laut, leiste, kalt, warm, schön, unschön, schmerzvoll, angenehm, usw. Versuche, wenn es dir auffällt, dass du gerade versuchst eine Empfindung oder Erfahrung zu werten, diese Bewertung augenblicklich zu stoppen. Besinne dich lediglich auf deinen Atem. Fühle jeden Teil deines Körpers, der von deiner Atmung bewegt wird. Schließe die Augen, wenn dir das nicht anders gelingt. Und bleibe so lange mit dem Fokus bei deiner Atmung bis sich deine Gedanken beruhigt haben. Ist deine Atmung stark und ruhig, kann sie dich auch über die kraftvollste Empfindung hinweg tragen, ohne dass du diese als gut, schlecht, kraftvoll, schmerzhaft usw. werten musst.

Achte auf ein wertfreies Umfeld.

Schaffe eine wertfreie Umgebung für die Geburt. Das bedeutet in erster Linie, dass dir die Umgebung und die Personen, die dich begleiten, so vertraut wie möglich sein sollten. Du sollst das Gefühl von Normalität erhalten können. Je weniger Anreiz zur Sorge oder Anpassung an äußere Umstände dein Umfeld bietet, umso leichter wirst du dich bei der Geburt den Empfindungen und deinem Kind hingeben können – ohne Angst, Verunsicherung oder innere Widerstände. Besonders wichtig sind eine vertrauensvolle Hebamme und eine persönliche Begleitung, die dir das Gefühl vermitteln, dass du das alles ganz wunderbar auch ohne ihre Hilfe schaffst, dass sie aber bedingungslos für dich in dem Ausmaß da sein werden, wie du es brauchst, um die Geburt aus eigener Kraft, in instinktiver Zusammenarbeit mit deinem Kind, bewältigen zu können.

Stärke die Verbindung zu deinem Kind.

Die Geburt ist nicht nur eine Selbsterfahrung für dich als werdende Mutter, sondern auch eine der mächtigsten und prägendsten Erfahrungen im Leben deines Kindes. Während du in vielerlei Dingen die Wahl hast – die Entscheidung treffen kannst – wie die Geburt ablaufen wird, hat dein Kind nur die Möglichkeit, sich dieser Situation zu fügen, wie sie ist. Verbinde dich mit deinem Kind und gehe diesen Weg mit ihm gemeinsam. Achte darauf, welche tiefe innere Stimme in dir erwacht, wenn du dich mit deinem Kind verbindest. Diese mütterliche Intution ist eines der mächstigsten Werkzeuge, die in uns in der Schwangerschaft erwacht und uns als Mutter unseres Kindes während der Geburt und danach zur Verfügung steht. Diese innere Stimme wird dich zielsicher durch die Geburt tragen, es dir erleichtern, dich deinem Kind in Hingabe zu fügen und nicht im Widerstand zu verharren. Wir Mütter haben die Fähigkeit, weit über unsere Grenzen hinaus zu wachsen, wenn wir uns in Hingabe mit unserem Kind verbinden. Dann tun wir alles, was getan werden muss, damit es geboren werden kann.

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Autorin: Isabella Ulrich

Isabella ist Mutter von zwei Söhnen. Sie ist als Dipl. Elternbildnerin mit Schwerpunkt Schwangerschaft, Geburt und Elternwerden tätig. Als Geburtsmentorin begleitet sie werdende Eltern auf ihrem Weg zur Wunschgeburt. Sie ist Autorin mehrerer Bücher und leitet Kurse, Seminare und Fortbildungen für werdende Eltern und geburtshilfliche Fachkräfte zu diesem Thema.

www.instinctivebirth.org

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