Titelbild: Christoph Luttenberger

Patricia: Vor genau sieben Jahren war ich gerade hochschwanger und erwartete meinen großen Sohn. Wenn ich an mich zu dieser Zeit zurückdenke, fällt mir auf, über welch kurze Distanz mein Blick in die Zukunft damals schweifen konnte. Alles drehte sich um die Geburt, das Wochenbett und maximal das erste Jahr. Wie das Leben mit einem größeren Kind sein würde, konnte ich damals noch gar nicht erahnen. Aber so Stück für Stück vergehen all diese Etappen und immer wieder neue Abschnitte tun sich auf. Mittlerweile wurde der große Sohn im letzten Sommer eingeschult. Ich blicke wohl deshalb im Moment ganz besonders auf diese erste große Etappe. Und immer wieder habe ich dabei dieses Bild im Kopf – von einem kleinen Boot, in das ich mich damals setzte, als ich schwanger wurde – oder wahrscheinlich sogar schon in dem Moment, als wir beschlossen, dass nun der richtige Zeitpunkt zum Elternwerden gekommen war. Und diese Reise – einmal begonnen – endet eigentlich nie. Es erwarten uns nur immer wieder neue Etappen, in denen wir jede Menge über uns selbst lernen dürfen. Wenn du so auf die Jahre deines Mamaseins blickst, wie hast du deine bisherige Reise erlebt? Wie hast du dich in dieser Zeit verändert?

Nora: Ich finde mich in diesem Bild sehr wieder. Auch ich fühlte mich in meiner ersten Schwangerschaft vor zehn Jahren am Beginn einer großen Reise, von der ich damals kaum erahnen konnte, dass sie nicht nur mein Privatleben, sondern auch meinen Beruf für immer verändern würde. Damals wusste ich nur: Ich möchte Mutter werden. Und ich möchte Journalistin werden. Diese beiden Wünsche standen für mich jedoch überhaupt nicht im Zusammenhang. Und dann merkte ich im Laufe dieser Reise, dass es für mich keine interessantere Frage gibt als die, was Familien im Innersten zusammenhält. Was brauchen schwangere Frauen, um stolze und starke Mütter zu werden? Wie können Paare während Schwangerschaft, Geburt und Babyzeit noch enger zusammenwachsen, anstatt auseinanderzudriften? Welche Bedingungen unterstützen uns Menschen beim Elternwerden und Elternsein und welche Stolpersteine können uns dabei im Weg liegen. Und nicht zuletzt: Was brauchen unsere Kinder, um körperlich und seelisch gesund und geborgen groß zu werden – und wie können wir Eltern ihnen all das geben, ohne uns darüber selbst zu verlieren? Plötzlich war mir klar: Das ist mein Thema, darüber muss ich schreiben! Dass ich damit auf offene Ohren stieß und eine große, interessierte Leserschaft für meine Themen gewinnen konnte, dafür bin ich noch heute jeden Tag dankbar. Heute, zehn Jahre später, schreibe ich nach wie vor mit Leidenschaft und Herzblut Artikel und Bücher über Schwangerschaft, Geburt und bedürfnisorientierte Elternschaft – das hätte ich mir zu Beginn meiner ersten Schwangerschaft nicht einmal in meinen kühnsten Träumen ausgemalt!

Was meine persönliche Reise als Mutter angeht, hatte ich das riesige Glück, bereits ein Jahr, bevor ich selbst schwanger wurde, eine Freundin zu finden, die selbst Hebamme war und bereits ein Kind hatte. Von ihr lernte ich so viel! So erklärte sie mir etwa ganz ausführlich und geduldig all die Vorteile von Hebammenvorsorge und Hausgeburt, sprach mit mir übers Stillen und übers Schlafen, aber zum Beispiel auch über die unterschätzte Bedeutung des Wochenbetts. Unerfahren und wissbegierig wie ich war, saugte ich all diese Informationen auf, stellte tausend Fragen, bekam sie alle beantwortet und trug, als ich dann selbst den positiven Schwangerschaftstest in den Händen hielt, bereits einen Wissensschatz in mir, der sich jetzt als unendlich wertvoll erwies. Ich war 22 Jahre alt und zum ersten Mal schwanger, aber ich wusste genau, was jetzt zu tun war. Mein erster Anruf galt nicht meiner Frauenärztin, sondern einer Hebamme, der ich gleich bei der ersten Vorsorge in der achten Woche sagte, dass ich eine Hausgeburt plane. Bis auf drei Ultraschall-Untersuchungen nahm ich keinerlei ärztliche Vorsorgeleistungen in Anspruch, selbst das CTG-Schreiben lehnte ich selbstbewusst ab – ich war ja gebrieft und wusste, dass das vor dem errechneten Termin ohnehin keine Aussagekraft hat. Durch diese geniale Vorbereitung ist mir erspart geblieben, was viele Erst-Schwangere erleben: Ich bin nie in die Mühlen der medizinischen Schwangerschaftsvorsorge und Geburtshilfe hineingeraten, also musste ich mich auch nicht erst mühsam daraus befreien. Im Grunde genommen war diese Erfahrung im Übrigen meine Haupt-Motivation, „Das Geburtsbuch“ zu schreiben. Ich wollte, dass alle Frauen mit solch einem Wissensschatz durch Schwangerschaft und Geburt gehen können – auch wenn sie nicht zufällig eine Freundin haben, die Hebamme ist. Auf den ersten Blick habe ich mich also in den vergangenen zehn Jahren als Mutter gar nicht so sehr verändert: Meine dritte Schwangerschaft im vergangenen Jahr ließ ich genauso von einer Hebamme begleiten wie meine erste, alle meine drei Kinder kamen zu Hause zur Welt. Mein kleiner Sohn schlief wie auch seine beiden großen Schwestern vom ersten Tag an im Familienbett, wird gestillt und im Tragetuch getragen und fängt nun gerade ganz selbstbestimmt an, bei uns am Familientisch mitzuessen. Die bedürfnisorientierten Säulen unserer Elternschaft sind also von unserem ersten Baby an dieselben geblieben. Die größte Veränderung ist vielleicht, dass mein Ehrgeiz, die perfekte, bedürfnisorientierte Mutter sein zu wollen, der Erfahrung gewichen ist, dass ich weder perfekt sein kann noch muss – und dass Kinder wunderbar glücklich groß werden können, auch wenn Mama und Papa mal hinter ihren eigenen Ansprüchen an sich als Eltern zurückbleiben. Hauptsache, die liebevolle Grundhaltung stimmt!

Patricia: Wie gelingt es dir als Mama von drei Kindern, den Alltag mit Familie und Arbeit unter einen Hut zu bekommen? Habt ihr als Familie ein gutes Gleichgewicht für euch gefunden?

Nora: Für meinen Mann und mich war immer wichtig, dass das Prinzip der Bedürfnisorientiertheit für alle gilt – nicht nur für die Kinder. Das heißt konkret, dass wir uns jeden Tag aufs Neue dafür ins Zeug legen, die Bedürfnisse aller hier unter einen Hut zu kriegen: Wenn ich einen dringenden Abgabetermin habe, kommt mein Mann früher von der Arbeit nach Hause und nimmt alle drei Kinder mit nach draußen, damit ich in Ruhe arbeiten kann. Wenn eins unserer Kinder krank ist, machen wir Eltern beide im Job Abstriche, um für den kleinen Patienten da zu sein. Wenn unsere Kinder unterschiedliche Bedürfnisse haben, versuchen wir, diese nach Dringlichkeit zu sortieren und dann entweder gleichzeitig oder eben nacheinander zu erfüllen. Und wenn mein Mann und ich in stressigen Zeiten das dringende Bedürfnis haben, mal wieder zu zweit in Ruhe zu reden, nehmen wir schon auch mal das Baby ins Tragetuch für einen ausgedehnten Paar-Spaziergang und lassen unsere Töchter währenddessen ohne schlechtes Gewissen zu Hause zwei Stunden fernsehen. Letztlich geht es uns um eine gesunde Balance: Wir lieben beide nicht nur unsere Kinder, sondern auch unsere Jobs. Und unterstützen uns gegenseitig so gut wir können darin, den Spagat zwischen Familie und Berufsleben zu stemmen und dabei genug gemeinsame Zeit für uns als Paar zu finden. Denn das haben wir in den vergangenen zehn Jahren deutlich gemerkt: das Fundament, die Basis, der absolute Grundstein unserer Familie, das sind wir zwei Großen. Wenn es uns miteinander nicht gut geht, gerät das ganze Familiengefüge ins Wanken. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir unseren Kindern auf lange Sicht keinen größeren Gefallen tun können, als uns gut um uns als Paar zu kümmern – auch wenn unsere Kinder dafür manchmal kurzfristig ein eigenes Bedürfnis zurückstellen müssen.

Patricia: All deine Bücher empfinde ich als unschätzbar wertvoll – nicht nur für Eltern und ihre Babys im Alltag, sondern auch für unsere Gesellschaft im Allgemeinen. Magst du uns mal erzählen, warum du das geborgene Aufwachsen als ganz besonders wichtig empfindest? Siehst du da auch diesen größeren Zusammenhang?

Nora: Vielen Dank für dieses Kompliment, ich freue mich so sehr darüber, dass du meine Bücher so wertschätzt! Tatsächlich habe ich mit meinen Büchern und Artikeln kein geringeres Ziel vor Augen, als unsere Welt zu einer besseren zu machen. Denn ich bin überzeugt: Frieden, Freundlichkeit, gegenseitiger Respekt – all diese Dinge fangen in der Familie an. Eine einzige Generation liebevoll und bedürfnisorientiert begleiteter Kinder genügt bereits, um dem Schicksal unseres Planeten eine entscheidende Wendung zum Guten zu geben. Denn wer von Geburt an erlebt, dass seine Bedürfnisse respektiert werden, der verinnerlicht dieses Prinzip des Grundrespekts tief in seinem Inneren und entwickelt eine Empathiefähigkeit, die wie eine natürliche Schutzimpfung gegen Hass und Gewalt wirkt. Vor Kurzem habe ich in der Zeitung gelesen, dass sämtliche Terroristen – egal für wen oder was sie kämpfen – letztlich eine Gemeinsamkeit haben: keine festen Bindungen. Nur so sind sie in der Lage, zu töten. Wer liebt und geliebt wird, wer in ein Netz stabiler Bindungen eingeflochten ist, ist zu so einem Verbrechen gar nicht in der Lage. Es ist also tatsächlich so, wie es Mutter Teresa einst sagte: Wenn wir die Welt zum Guten verändern wollen, müssen wir zunächst nach Hause gehen und Liebe in unsere Familien tragen.

Patricia: Du engagierst dich auch ganz besonders für ein Thema, welches bis vor Kurzem traurigerweise öffentlich gar keinen Platz gefunden hat – die Gewalt in der Geburtshilfe. Seit einigen Jahren gibt es nun den Roses Revolution Day und wir können erahnen, wie viele Frauen davon betroffen sind und es erschreckt mich. Vor allem, weil viele Frauen wohnortbedingt ihren Geburtsort mittlerweile nicht mehr frei wählen können. Mir ging es vor drei Jahren zur Geburt der Zwillinge ebenso, weshalb wir für fünf Wochen nach Berlin gezogen sind. Dabei war es weniger das Problem, dass es keine Klinik in der Nähe gab, sondern vielmehr, dass es keine Klinik gab, der ich mein Vertrauen schenken konnte. Ich frage mich schon, was wäre gewesen, wenn wir das so nicht hätten organisieren können – so wie es wahrscheinlich für viele andere Familien gewesen wäre. Immer mehr Frauen sehen sich nun genau diesem Problem gegenüber und entscheiden sich sogar dafür, ihre Babys alleine zur Welt zu bringen. Wie ist dein Blick auf diese Situation?

Nora: Wir hatten hierzulande bis vor wenigen Jahren die beste geburtshilfliche Versorgung weltweit, mit einem dichten Netz verschiedener geburthilflicher Angebote von der Hausgeburtshebamme über das Geburtshaus bis hin zur Uni-Klinik mit angeschlossener Neonatologie. Doch durch die steigenden Haftpflichtprämien in der Geburtshilfe und eine fehlende politische Lösung für dieses Problem müssen immer mehr kleine Geburtsstationen schließen, immer mehr Hebammen geben die außerklinische Geburtshilfe auf. Die Leidtragenden sind die Schwangeren, die bereits jetzt keine Hebamme mehr finden und oft eigentlich unzumutbar weite Strecken zurücklegen müssen, wenn sie ihr Kind nicht alleine bekommen wollen. Diese Entwicklung macht mich wütend, denn wir Eltern mahnen diese Entwicklung seit Jahren an, und Gesundheitsminister Gröhe hat bis heute keinen Weg gefunden, das Sterben der Hebammenpraxen, Geburtshäuser und der kleinen Kreißsäle zu stoppen. Er beruft sich darauf, dass auch heute noch keine Frau ihr Kind alleine kriegen muss, schließlich gäbe es nach wie vor genug Kreißsäle. Das mag zwar rechnerisch richtig sein, doch was Gröhe und viele andere Entscheidungsträger dabei völlig außer acht lassen, ist die Tatsache, dass angesichts der aktuellen Entwicklung ein ganz hohes Gut auf der Strecke bleibt: die Wahlfreiheit der gebärenden Frau. Hier in Deutschland hat jede Gebärende das Recht auf die Begleitung einer Hebamme, und zwar sowohl innerhalb als auch außerhalb einer Klinik. Doch was nützt uns dieses Recht, wenn letztlich nur noch eine einzige Klinik in unserem Landkreis überhaupt Geburtshilfe anbietet und die Möglichkeit einer hebammenbegleiteten, außerklinischen Geburtshilfe überhaupt nicht mehr besteht? Mein Eindruck ist, dass viele Entscheidungsträger in Medizin und Politik diese Entwicklung klammheimlich gar nicht so schlecht finden: Diese Frauen, die zur Geburt nicht ins Krankenhaus gingen, die waren doch schon immer ein wenig suspekt. Ist es da wirklich ein Fehler, wenn sie diese Möglichkeit schlicht nicht mehr haben? Dabei ist es ein riesiges Problem, wenn die Wahlfreiheit schwangerer Frauen auf eine „Friss oder stirb!“-Geburtshilfe zurückgestutzt wird, in der Frauen nur noch die Wahl zwischen Klinikgeburt und Alleingeburt haben. Die steigende Anzahl an Alleingeburten besorgt mich in diesem Zusammenhang zutiefst. Nicht, weil ich kein Vertrauen in die weibliche Gebärfähigkeit hätte, sondern weil mein Eindruck ist, dass viele Frauen ihr Baby nicht wirklich am liebsten allein bekommen wollen – sie empfinden die Alleingeburt nur als geringeres Übel im Vergleich zur Klinikgeburt. Und das darf nicht sein! Jede Frau sollte die Begleitung bekommen, die sie sich wünscht und die sie verdient, und nicht ohne jede Hebammen-Unterstützung ihr Kind bekommen, nur weil sie zur Geburt nicht in die Klinik will.

Patricia: Wenn du auf eine schwangere Frau triffst und sie fragt dich: „Nora, was brauche ich wirklich für eine selbstbestimmte Geburt und ein geborgenes erstes Jahr für mich und mein Baby?“ Was würdest du ihr antworten?

Nora: „Lies meine Bücher, da steht alles drin!“ 🙂 Nein, im Ernst: Ich würde ihr sagen, dass sie sich von allen Stimmen fernhalten soll, die an ihre Angst appellieren, und sich mit Menschen umgeben soll, die sie bestärken und die ihr Mut machen. Denn letztlich geht es sowohl bei einer selbstbestimmten Geburt als auch bei einer geborgenen Babyzeit darum, Vertrauen zu haben: in den eigenen Körper, in das eigene Kind. Vertrauen ist wirklich das Allerwichtigste.


Nora Imlau

Nora ist  Mutter von drei Kindern und schreibt für verschiedene Magazine, darunter die chrismon und die Zeitschrift „Eltern“. In den vergangenen Jahren hat sie mehrere erfolgreiche Bücher für Eltern veröffentlicht, darunter „Crashkurs Baby“, „Das Geheimnis zufriedener Babys“, „Schlaf gut, Baby!“ sowie „Das Geburtsbuch. Vorbereiten – Erleben – verarbeiten“.

www.nora-imlau.de

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