Titelbild: © Andy Dean – Adobestock.de

Manchmal geschieht es, dass eine werdende Mutter alles in ihrer Macht stehende getan hat, um die Geburt ihres Kindes so selbstbestimmt und natürlich wie möglich zu erleben. Doch trotz aller Vorkehrungen kann es geschehen, dass ein Baby nicht auf natürlichem Weg geboren werden kann. Wenn man mit Müttern über ihre ungeplante Kaiserschnitterfahrung spricht, wird man mit unterschiedlichsten Emotionen und Reaktionen konfrontiert. Es gibt Frauen, die sehr gut mit der Entscheidung zum Kaiserschnitt leben können, und die durch eine gute emotionale Begleitung durch ihre Geburtshelfer diese Situation sowohl emotional als auch physisch gut bewältigen. Doch meist ist eine große Enttäuschung spürbar – wie eine unerfüllte Sehnsucht und der Wunsch, auch einmal erfahren zu können, wie es ist, ein Baby ganz natürlich und ohne Intervention zu gebären. Oft fühlen sich die Frauen überrumpelt, als habe man ihnen in einem Moment größter Verletzlichkeit das Anrecht auf Selbstbestimmung verwehrt – als habe man über sie hinweg eine Entscheidung für eine Art der Entbindung getroffen, die sie so nicht vorgesehen haben oder deren Notwendigkeit sie anzweifeln. Ganz besonders das Gefühl, dass ihr Körper nicht so funktioniert hat, wie er es hätte sollen, prägt die Selbstsicht mancher Frauen tiefer, als man meinen möchte. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Geburt sehr interventionsreich verlaufen ist und sie dadurch Schritt für Schritt in eine tiefe innere Verunsicherung abgeglitten sind. 

Doch eine ungeplante Kaiserschnittgeburt muss nicht zwingend mit einem Gefühl des Versagens und der Ohnmacht einhergehen, sondern kann ebenso ein Akt der Hingabe sein. Dafür braucht es jedoch die Bereitschaft, sich im Vorfeld der Geburt mit der Möglichkeit eines Kaiserschnittes auseinanderzusetzten, um sich gegebenenfalls auf diese dunkle Seite der Hingabe bewusst einlassen zu können.

Ob du dein Kind nun auf natürlichem Wege zur Welt bringst oder ob es durch einen Kaiserschnitt geboren wird, so verlangt es dir als Mutter doch dieselbe Hingabe ab. Eine jede Geburt ist ein Übergangsritus, bei dem du als Mutter weit über deine körperlichen und mentalen Grenzen getragen wirst. Bei einer natürlichen Geburt muss sich die Mutter dem Kind und das Kind der Mutter fügen. Wenn die physischen Grenzen von Mutter und/oder Kind erreicht sind, ein Ende der Geburt jedoch nicht absehbar ist, braucht es manchmal Hilfe von außen. Sich dieser Hilfe zu fügen ist eine große Herausforderung für eine Mutter, und ein ganz besonderer Akt der Hingabe an ihr Kind und das Leben selbst. Dazu möchte ich eine Geschichte erzählen, die auf die eine oder andere Weise in vielen Kulturen dieser Welt wiederzufinden ist. Diese Geschichte dient eigentlich der Versinnbildlichung des Todes und der Wiedergeburt, sie verkörpert für mich aber auch die Essenz dessen, was ein Kaiserschnitt für eine Mutter wirklich bedeutet:

Ich möchte euch die Geschichte von Demeter erzählen, der Muttergöttin. Eines Tages spazierte sie blumenpflückend mit ihrer Tochter Persephone über ein Feld, als ihre kleine Tochter plötzlich aus ihrem Blick verschwand. Hades, der Gott der Unterwelt, hatte sie in sein Reich des Todes entführt. Demeter zerbrach zusehends am Verlust ihrer Tochter. Ihre Trauer ließ alles Leben in der Natur vergehen, denn sie hatte keine Kraft mehr, um diese zu nähren. Als alles Leben zu versiegen drohte, beschloss Hekate, die weise Alte, sich ihrer anzunehmen. Sie flöste ihr einen Gerstentrank ein und führte sie zum Tor der Unterwelt. Dort überredete sie Demeter dazu, ihr in die Unterwelt zu folgen, um ihre Tochter Persephone aus dem Reich des Todes zurückzuholen. Überwältigt von Trauer und einem Schimmer von Hoffnung willigte Demeter schließlich ein. Doch in ihrem menschlichen Dasein konnte sie nicht in die Unterwelt vordringen. Es war ein Wandel notwendig – ein Opfer. Am Eingang zur Unterwelt nahm Hekate Demeter ihren Schmuck ab, entkleidete sie und rasierte ihr das Haar. Dann verschwanden die beiden Frauen in der Tiefe. An der nächsten Schwelle, die sie tiefer ins Reich des Todes führen sollte, zückte Hekate erneut ihr Messer und schnitt einen tiefen Schnitt in Demeters Haut, knapp oberhalb ihres Venushügels. Dann begann sie an dieser Stelle, Demeters Haut abzuziehen. An der nächsten Schwelle musste Demeter ihr Blut in die Erde fließen lassen. An der nächsten ihre Muskeln ablegen. Demeter wandelte als Skelett, auf Hekate gestützt, weiter. An der letzten Schwelle musste Demeter auch ihre letzte Körperlichkeit aufgeben und war nun nur noch Geistwesen. Schließlich stand sie vor Hades und forderte ihre Tochter zurück. Dieser jedoch wollte Persephone nur gegen einen Handel wieder freilassen. Demeter sollte an ihrerstatt in der Unterwelt zurückbleiben. Demeter war so weit gegangen und hatte alles an Leben gegeben, das noch von ihr übrig war, um ihre Tochter zurückzugewinnen. Ein Leben ohne ihre Tochter wollte sie nicht leben, also gab sie sich Hades Forderungen hin, um wenigstens das Leben von Persephone zu retten. Als Hades erkannte, dass Demeter freien Willens bereit war, ihr Leben für ihr Kind zu geben, und selbst vor dem Tod nicht zurückschreckte, gab er Persephone frei und ließ Mutter und Kind mit Hekate den Rückweg antreten. Persephone sollte drei Monate im Jahr in die Unterwelt zurückkehren, denn sie hatte Hades Frucht des Todes gekostet (Granatapfel) und war deshalb für immer ein Teil der Unterwelt. Hekate begleitete Demeter Schwelle für Schwelle zurück zum Ausgangspunkt ihrer Reise in die Tiefe. An jeder Schwelle gab sie ihr zurück, was Demeter hatte opfern müssen. An der letzten Schwelle nahm Demeter wieder ihre alte Gestalt an, doch über ihrer Scham blieb eine deutlich sichtbare Narbe zurück, an welcher Hekate ihren Schnitt gesetzt hatte. Dieses Zeichen erinnerte sie für immer an das Opfer, das sie bereit gewesen war, für ihr Kind zu geben, damit es den Weg zurück ins Leben finden konnte.

Immer wieder rührt mich diese Geschichte zu Tränen. Ich empfinde tiefe Ehrfurcht vor Frauen, die diesen Weg gegangen sind, und deshalb möchte ich auch jeder Mutter, die ein Kind erwartet, diese Geschichte mit auf den Weg geben. Wir alle müssen einen Teil unseres Selbst opfern, um am Ende unser lang ersehntes Kind in den Händen zu halten. Ganz gleichgültig, wie die Geburt vonstattengeht, müssen unsere Haut, unsere Muskeln und unsere Knochen weichen. Es wird Blut fließen und wir werden uns an einem gewissen Punkt dem Tod näher fühlen als dem Leben. Ob wir uns diesem großen Opfer zuversichtlich fügen oder in tiefer Trauer und starr vor Ohnmacht emotional am Rande des Geschehens liegen bleiben, liegt oftmals an der Art und Weise, wie wir in dieser Erfahrung begleitet werden.

 

Was macht einen Kaiserschnitt annehmbar?

 

Wenn dich deine geburtshilflichen Begleitpersonen spürbar im Sinne einer möglichst natürlichen und interventionsfreien Geburt begleiten.

Es fällt Frauen leichter, die Entscheidung zum Kaiserschnitt anzunehmen, wenn diese aufgrund eines realen und spürbaren Risikos für sich und ihr Baby getroffen wurde und die Ursache nicht in möglicherweise abwendbaren Einflüssen zu finden ist. Die Autorität über alle geburtshilflichen Entscheidungen obliegt den geburtshilflichen Begleitpersonen, also deiner Hebamme und deinen betreuenden Geburtshelfern. Je vertrauter dir diese Menschen sind und je mehr sie ganz deutlich im Sinne einer möglichst natürlichen und interventionsfreien Geburt arbeiten, umso wahrscheinlicher ist es, dass eine operative Maßnahme nur dann ergriffen wird, wenn diese auch wirklich zwingend notwendig ist. Dann ist es sehr viel einfacher, einer Entscheidung zum Kaiserschnitt positiv zu begegnen. Die Auswahl dieser Begleitpersonen sollte daher nicht dem Zufall überlassen werden, sondern ist als einer der wichtigsten Schritte in der Vorbereitung auf ein positives Geburtserlebnis zu verstehen.

Wenn du darüber informiert bist, was bei einem möglichen Kaiserschnitt mit dir und deinem Baby geschieht.

Besprich mit deiner begleitenden Hebamme und deinem begleitenden Arzt im Vorfeld, welche Handlungen mit einer möglichen Entscheidung zum Kaiserschnitt auf dich zukommen. Lass dir die Prozedur im Detail erklären. Damit hast du die Möglichkeit, Fragen zu stellen, mögliche Ängste und Bedenken zu äußern und deine persönlichen Wünsche für die Geburt deines Kindes einzubringen. Wenn du weißt, was auf dich zukommt, kannst du notwendige körperliche Maßnahmen besser hinnehmen, wie das Legen eines Katheters, die seltsamen Empfindungen, die mit der Verabreichung eines wehenhemmenden Medikamentes einhergehen, die Vorgehensweise beim Setzen einer PDA usw.

Wenn du weißt, was mit deinem Baby geschehen wird, wenn es geboren ist.

Einer der negativen Begleiterscheinungen einer Geburt per Kaiserschnitt ist die mögliche Trennung der Mutter von ihrem Neugeborenen. Meist wird das Baby sofort nach dem Kaiserschnitt der Mutter gezeigt, sie darf ihr Baby berühren und es liebkosen, doch dann wird es schnell aus dem OP gebracht, damit es notfalls medizinisch versorgt werden kann. Während die Mutter operativ versorgt wird, befindet sich ihr Kind in fremden Händen und manchmal dauert es viele Stunden, bis ein erstes wirkliches Kennenlernen zwischen der Mutter und ihrem Kind ermöglicht wird. Dabei geht die wertvolle Zeit der Prägephase sowohl für das Neugeborene als auch für die Mutter verloren. Um dieser Vorgehensweise zu entgehen, kann man mit der Hebamme im Vorfeld genau absprechen, wie man diese Situation handhaben möchte. Der werdende Papa kann das Neugeborene begleiten, ihm den notwendigen Körperkontakt für eine positive Prägung ermöglichen und dafür sorgen, dass es so rasch wie möglich mit der Mutter vereint wird. Damit fällt es der Mutter nicht ganz so schwer, von ihrem Kind so plötzlich getrennt zu werden, denn sie weiß, es ist in guten Händen. Sprich mit deiner Hebamme über mögliche Unterstützung beim Bonding nach einem Kaiserschnitt.

Wenn du die Entbindung von deinem Kind als einen Akt der Hingabe annehmen kannst.

Vielleicht hilft dir die Versinnbildlichung von Demeters Geschichte, dich dem Eingriff in deinen Körper mit einer gewissen Hingabe an dein Kind zu fügen. Wenn es dir gelingt, dich in diesem Moment ganz im Vertrauen auf deine Helfer fallen zu lassen, dich in liebevoller Erwartung deines Kindes Schritt für Schritt dem zu fügen, was dir jetzt widerfährt, und du darauf vertrauen kannst, dass du und dein Kind am Ende wieder heil und vereint aus dieser Erfahrung hervorgehen werdet, sind die Minuten, bis du dein Kind in den Armen hältst, rasch vergangen. Bitte deine Hebamme, dich mental dabei zu begleiten, dir emotional beizustehen und dich dabei zu motivieren, mental „bei und mit deinem Kind“ zu bleiben, bis es wirklich aus deinem Körper geschlüpft ist und in deine Arme gelegt wird. Eine ruhige und tiefe Atmung sowie das bewusste Besinnen auf die Schwerkraft unterstützen dich dabei, den vielen Empfindungen, die jetzt auf dich einströmen, positiv zu begegnen.

Wenn du die Wiedervereinigung mit deinem Kind bewusst gestalten kannst.

Eine Geburt endet üblicherweise mit der Wiedervereinigung von Mutter und Kind, der Geburt der Plazenta und dem ersten Stillkontakt zwischen der Mutter und ihrem Neugeborenen. Je ruhiger und ungestörter dieses wichtige Prägeritual geschehen kann, umso entspannter gestalten sich am Ende die Mutter-Kind-Bindung und das instinktive Elternbewusstsein. Nach einer Kaiserschnittentbindung wird diese wichtige Prägephase oftmals aus Unachtsamkeit und klinischer Routine gestört oder gänzlich verhindert, was den gemeinsamen Start nach einer schwierigen Geburt oder gänzlich fehlenden Wehenarbeit zusätzlich erschweren kann. Die ersten Lebenserfahrungen deines Kindes – die ersten Atemzüge, die ersten Berührungen, die erste Erfahrung mit der Schwerkraft – sollten in Geborgenheit stattfinden können. Ist es dir nicht möglich, bei deinem Kind zu sein, kann das der werdende Papa, die Doula, die Oma oder auch deine Hebamme übernehmen. Je rascher du wieder mit deinem Kind vereint wirst, umso besser. Sprich mit deiner Hebamme über die Möglichkeit, nicht von deinem Kind getrennt zu werden, und wie ihr die ersten gemeinsamen Momente so entspannt und bonding-freundlich wie möglich gestalten könnt. Bestehe darauf, dass dein Kind nicht gebadet wird, bis du es an dich genommen hast. Der Geruch deines Neugeborenen weckt deine Instinkte, unterstützt euer gegenseitiges Wiedererkennen und eure Bindung aneinander. Ihr könnt mit dem (Wieder)Entzünden eurer Geburtskerze die Wiedervereinigung feiern.

Wenn du deinem Körper nach einer Kaiserschnitterfahrung bewusst Gutes tust und dich selbst dafür achtest, was du auf dich genommen hast, um dein Kind zu gebären.

Der Körper einer Frau verändert sich mit einer Geburt, und es ist schon nach einer äußerst glücklichen und ganz natürlichen Geburt eine Herausforderung, den neuen Mama-Körper so anzunehmen, wie er ist, und sich darin wohl zu fühlen. Noch größer ist die Herausforderung, mit einem Mama-Körper zurechtzukommen und sich darin gut zu fühlen, wenn dein Körper durch eine schwierige Geburtssituation schmerzende Wunden und Narben davongetragen hat und wenn du durch die schwierigen Umstände der Geburt das Gefühl bekommen hast, dass dein Körper nicht so funktioniert hat, wie du dir das gewünscht hättest. Nimm dir daher ganz bewusst Zeit zur Regeneration und tue dir viel Gutes. Massiere deinen Körper mit viel Achtsamkeit und widme dich dabei besonders deinem Bauch, in dem dein Baby so lange Zeit herangewachsen ist, und auch der Narbenpflege. Danke deinem Körper für die großartige Arbeit, die er geleistet hat, und was er alles erdulden musste, um dein Kind gesund zur Welt zu bringen. Deine Nachsorgehebamme begleitet dich während der ganzheitlichen Aufarbeitung deiner Kaiserschnitterfahrung und unterstützt dich und dein Baby die erste Zeit nach der Geburt dabei, möglichen Bindungs- und Stillschwierigkeiten entgegenzuwirken.

Wenn du die Geburt deines Kindes als einen Übergangsritus annehmen und würdigen kannst.

Ein bekannter Spruch von Gertrud von le Fort lautet: „Geboren wird nicht nur das Kind durch die Mutter, sondern auch die Mutter durch das Kind“. Eine jede Mutter teilt mit ihrem Kind eine ganz eigene Geburtsgeschichte. Wenn du dein Kind unerwartet durch einen Kaiserschnitt zur Welt gebracht hast, ist das für dich im ersten Moment bestimmt keine positive Selbsterfahrung. Vielleicht gelingt es dir nach einiger Zeit der Aufarbeitung, ganz bewusst zu hinterfragen: „Was habe ich durch diese Geburtsgeschichte über mich selbst und mein Kind erfahren?“ Nicht selten findet man Antworten auf diese Fragen, die es sehr viel leichter werden lassen, das Erlebte anzunehmen und zu würdigen.

Dieser Artikel ist in der Frühlingsausgabe des Magazins erschienen. Wenn du ihn gern in gedruckter Form lesen möchtest, kannst du HIER noch eine Ausgabe kaufen.


Autorin: Isabella Ulrich

Isabella ist Mutter von zwei Söhnen. Sie ist als Dipl. Elternbildnerin mit Schwerpunkt Schwangerschaft, Geburt und Elternwerden tätig. Als Geburtsmentorin begleitet sie werdende Eltern auf ihrem Weg zur Wunschgeburt. Sie ist Autorin mehrerer Bücher und leitet Kurse, Seminare und Fortbildungen für werdende Eltern und geburtshilfliche Fachkräfte zu diesem Thema. 

Von Herzen möchte ich dir Isabellas Buch zur Geburtsvorbereitung empfehlen: INSTINCTIVE BIRTH – Geburt aus eigener Kraft: Handbuch zur ganzheitlichen Vorbereitung auf ein positives und selbstbestimmtes Geburtserlebnis.

www.instinctivebirth.org

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