Titelbild: Adobe Stock © Brodetskaya Elena

Es ist nun schon einige Jahre her, aber ich kann mich noch gut daran erinnern, wie es war, als meine Freundin und Doula eine Blessingway-Zeremonie für mich organisiert hat. Ich erinnere mich an die Vorfreude und Aufregung beim Vorbereiten der Feierlichkeiten, an die lachenden Gesichter der Frauen, die sich im Kreis zusammengefunden haben. Ich erinnere mich noch gut an das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, gefeiert und geehrt zu werden. Für mich war die Blessingway-Zeremonie nicht nur ein Zusammensein mit lieben Freundinnen, ein Fest für das Leben, sondern auch ein Loslösen von meiner Schwangerschaft, eine Einstimmung auf die bevorstehende Geburt. Noch heute habe ich eine Kette mit Perlen, die die Frauen für mich auf ein Band geknüpft haben und die mich auch unter der Geburt begleitet hat. Und ich besitze wundervolle Karten mit ganz persönlichen Worten und Wünschen für mich und mein Baby von jeder einzelnen Frau, die an diesem besonderen Tag dabei war. Hin und wieder nehme ich diese Dinge aus ihrer Kiste, lese mir die Karten durch und lasse die Perlen durch meine Finger gleiten. Und dann kommen sie wieder, die Erinnerungen – so als wäre das alles erst gestern geschehen. Tatsächlich ist das alles aber schon einige Jahre her und in der Zwischenzeit habe ich die Kraft unterschiedlicher Rituale rund um die Geburt schon mehrfach erfahren dürfen. Ich begleite nun selbst Frauen auf ihrem Weg in die Mutterschaft und biete größere und kleinere Rituale an, die den Frauen Orientierung und Halt geben. 

Ein Kind zu gebären, Mutter zu werden, das ist eine große Sache und stellt die Menschen vor vielfältige Herausforderungen. Meist ist die Schwangerschaft eine Zeit der Neuorientierung und Umstrukturierung. Damit sind nicht nur die sich verändernden Familienverhältnisse gemeint, sondern vor allem auch das innere Wachstum, die spirituelle Entwicklung. Die Reise in die Mutterschaft birgt unglaubliches Entfaltungspotential. Vielfach stehen die Frauen aber ohne Unterstützung vor den sich bietenden Herausforderungen, da die rituelle Struktur, die mit Sicherheit auch bei uns einmal vorhanden war, zum größten Teil verloren gegangen ist. Wir sind daher angehalten, uns in der Welt umzusehen, das anzunehmen, was uns stimmig erscheint und gegebenenfalls so zu transformieren, dass es für uns passend ist. 

Auf diese Weise kam auch das eingangs beschriebene Blessingway-Ritual nach Europa. Ursprünglich eine Segnungszeremonie der nordamerikanischen Navajo-Indianer, erfreut sich die Blessingway-Zeremonie auch bei uns immer größerer Beliebtheit. Und das nicht ohne Grund! Viele Frauen sehnen sich nach spiritueller Tiefe und Sinnhaftigkeit in unserer lauten und oftmals sinnentleerten Alltagsrealität. Ein freudiges Ritual im Kreis gleichgesinnter Frauen kann eine unglaubliche Kraft entfalten und die werdende Mutter auf ihre bevorstehende Geburtsreise und ihre neue Rolle als Mama einstimmen und vorbereiten. Wie genau dieses Ritual gestaltet wird, hängt ganz von den Bedürfnissen der gefeierten Frau ab. Es gibt eine Vielzahl von Ritualbestandteilen, die – ähnlich den Zutaten eines Kuchens – bunt gemischt werden können und so jedes Mal ein einzigartiges und individuelles Ereignis ergeben. Für mich ist es immer wichtig, dass es zwar so etwas wie einen roten Faden gibt, aber gleichzeitig viel Spielraum für Variationen und Spontanität bleibt. 

Als hilfreich hat sich dabei erweisen, auf eine dreigliedrige Struktur zurückzugreifen, die auch aus der Ritualtheorie bekannt ist. Im ersten Teil des Rituals geht es um die Loslösung vom Alltagsbewusstsein und um das Aufsteigen lassen der Energie. Der Mittel- oder Hauptteil ist dem Transformationsprozess gewidmet und somit Höhepunkt des Rituals. Im dritten Teil lässt man die Energie wieder sinken und das Ritual findet seinen Ausklang. 

Diese Struktur eignet sich eigentlich für sämtliche Rituale, egal welchem Zweck sie dienen oder welchen Umfang sie haben. Selbst ganz kleine rituelle Handlungen können sich an dieser Dreigliederung orientieren. Unmittelbar nach der Geburt des Kindes kann es beispielsweise sehr schön sein, wenn das Kind in dieser Welt begrüßt, im Leben willkommen geheißen wird. Dazu kann eine Kerze entzündet und ein Segensspruch gesprochen werden. Dann wird die Kerze wieder gelöscht. Welcher Spruch der passende ist und ob er von der Mutter, dem Vater, älteren Geschwisterkindern, der Hebamme oder Geburtsbegleiterin – oder von allen zusammen – gesprochen wird, kommt auf die Familie und deren Bedürfnisse an. 

Umfangreiche und langwierige Rituale sind unter der Geburt oder unmittelbar danach wohl ehr nicht angesagt. Für Willkommensrituale im Kreis von Freunden und Verwandten sollte man sich erfahrungsgemäß etwas länger Zeit lassen. Hat sich die neue Familie aber einmal zusammengefunden und konnten Mutter und Kind eine entspannte Wochenbettzeit genießen, spricht nichts gegen ein ausgiebiges Fest. Auch hierbei gibt es eine Reihe von Ritualzutaten, die abhängig von den Wünschen und Bedürfnissen der Familie, beliebig miteinander kombiniert werden können. 

Egal ob Blessingway-Zeremonie, Namensgebung, Willkommensfest oder Plazentaritual, es hat sich bewährt, Wünsche und Segenssprüche in den Ritualablauf einfließen zu lassen. Ein spezielles Gedicht, ein Gebet, ein Lied, das Festhalten von eigenen Worten, Wünschen und Gedanken sind wundervolle Geschenke an Mutter/ Vater und Kind. Besonders fein ist es, wenn diese Worte auf irgendeine Art und Weise auch „festgehalten“ werden und somit auch in Zukunft zur Verfügung stehen. Da kann beispielsweise jede Ritualteilnehmerin eine Karte gestalten und im Anschluss übergeben, Ritualbänder oder Steine können beschriftet werden, eine Schatzkiste kann befüllt werden oder die Wünsche und Segenssprüche werden in schriftlicher Form in einem Buch festgehalten. 

Und auch ganz wichtig: Es darf gefeiert werden! Das anschließende gemeinsame Essen und Lachen, Tanzen und Plaudern ist ein wichtiger Bestandteil aller größeren Zeremonien und Rituale und ermöglicht allen Teilnehmerinnen einen fließenden Übergang in den normalen Alltag. 

Ausführliche Informationen und viele weitere Ideen sind im Buch „Lebensreise – Lebenskreise. Rituale und Bräuche rund um die Geburt“ zu finden, das ich gemeinsam mit Marion Strohmaier veröffentlicht habe. Ein Auszug aus dem Buch:

Kerzen im Ritual 

Bei jedem Ritual haben Kerzen eine wichtige Funktion. Beim Entzünden von Kerzen werden unerwüschte Energien aufgenommen und die positiven Gedanken und Schwingungen des Rituals können in den Kerzen gespeichert werden. Deshalb können die Teilnehmerinnen einer Blessingway Zeremonie gebeten werden eine Kerze für die Schwangere mitzubringen. Die Kerzensammlung auf einem schönen Teller angeordnet, mit den verschiedenen Formen, Farben und Motiven, ziert die Wohnung der Mutter oft noch für sehr lange Zeit. 

Zuerst bekommt die werdende Mutter eine am Docht verbundene Doppelkerze, die sinnbildlich für sie und das Baby steht. Durch das Entzünden und Trennen der Kerzen bereitet sie sich aktiv auf die bevorstehende Abnabelung von ihrem Kind vor. Alle anwesenden Frauen entzünden dann ihre Kerze an einer brennenden Kerzen und sprechen einen kurzen Segenswunsch für das Baby. Die Kerzen bleiben bei der Mutter und werden bei den Eröffnungswehen oder auch während einer Hausgeburt wieder angezündet. Damit kann sich die Mutter in den Wochen vor der Geburt und während der Geburt jederzeit an die positiven Gedanken und Wünsche der Familie, Freundinnen und Nachbarinnen erinnern und sich diese positiven Energien zur Unterstützung heranziehen.


Autorin: Doris M. Moser

Doris ist zweifache Mama, Kultur- und Sozialanthropologin, Geburtsbegleiterin und Autorin. In ihrer Arbeit setzt sie sich für die Aufklärung und das Selbstbestimmungsrecht der Frauen ein. Sternentänzerin, Tagträumerin, Drachenfrau, Mondschwester, Lebensweberin; Weitere Bücher: “Der überwachte Bauch”, “Schwangerschaft schafft Heldinnenkraft” und “Mein privater Mutterpass”

www.rotemondin.com

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