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Die Diskussion über das Stillen in der Öffentlichkeit flammt immer wieder auf. Gerade in unseren aufgeklärten, gebildeten Breitengraden. Dort, wo niemand infrage stellt, wenn ein Erwachsener auf dem Heimweg aus dem Büro oder in der Mittagspause in der Stadt Hunger und Durst stillt. Als Erwachsene. In der Öffentlichkeit. Wo wir uns doch so viel Disziplin zutrauen könnten, es noch bis zu Hause auszuhalten. Oder es vorab zu planen.
Dieses Wissen hilft Mary leider nicht. Sie ist anders als diese Mütter, die voller Stolz ihrem Baby ganz selbstverständlich die Brust reichen. Egal wann. Egal wo. Mary ist das Abbild vieler Frauen, die ich in meiner Arbeit in Kursen und Stillgruppen kennenlernen durfte. Sie hat in den ersten Wochen mit vielen Stillproblemen gekämpft und ist inzwischen froh, durchgehalten zu haben. Routiniert fühlt sie sich allerdings immer noch nicht. Die Milch spritzt oft herum, wenn ihr Baby plötzlich mitten im Saugen loslässt. Und auch das Anlegen selber dauert meist ein wenig, bis es klappt. Am liebsten zieht sie sich zurück, um zu stillen. Selbst dann, wenn sie bei ihrer Familie ist. Im Restaurant fühlt sie sich fast wie auf dem Präsentierteller, wenn sie stillt. Gerade, weil das Baby ja vorher oft schon unruhig und nach „Stillen“ meckernd die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht. Irgendwie fühlt sie sich ganz schön prüde … Aber was soll sie machen?
Behältst du immer die Uhr im Blick, wann du wieder zurück sein musst, weil du dein Baby stillen musst? Oder hast du schon aufgegeben, das Haus zu verlassen, weil die Stillzeiten einfach so unplanbar sind? Dann habe ich für dich diese Tipps zusammengestellt, mit denen du dich zukünftig wieder leichter aus dem Haus traust – gemeinsam mit deinem Stillbaby. Sind wir doch mal ehrlich. Es sollte kein Aufhebens gemacht werden um das Stillen. Egal, ob du gerade Bus fährst oder der Predigt im Gottesdienst folgst. Ob du auf einer Hochzeit zu Gast bist oder mit einer Freundin auf einen Kaffee ausgegangen bist.
Öffentlich stillen
So kannst du dich herantasten
Es ist sehr clever, wenn du dich nicht gleich morgen mitten in die City auf die nächste Bank setzt, dir die Kleider vom Leib reißt und stillst. Zum einen hat niemand etwas gewonnen, zum anderen wirst du dich vermutlich weniger wie Super-Woman fühlen, sondern händeringend versuchen, dein Baby endlich angedockt zu bekommen. Probier lieber, deine Komfortzone Stück um Stück zu erweitern.
Schritt 1: Stillen in einer Stillgruppe
Treffen von Stillgruppen finden deutschlandweit in vielen Mütter- und Gemeindezentren sowie in Kliniken statt. Du „musst“ in einer Stillgruppe nicht zwingend stillen, wenn dein Baby gerade keinen Hunger hat. Du darfst sogar schon eine Stillgruppe besuchen, wenn dein Baby noch im Bauch ist. Das ist genaugenommen der perfekte Zeitpunkt, um eine Stillgruppe kennenzulernen. So ist alles bereits ein wenig vertrauter, wenn du dann das erste Mal mit Baby dorthin unterwegs bist. In einer Stillgruppe geht es vor allem darum, sich über die großen und kleinen Fragen im Baby- und Stillalltag mit anderen Mamas austauschen zu können. Das Stillen passiert also ganz nebenher wie bei einem Kaffeekränzchen unter Stillenden. Und weil das Stillen dort so normal ist und weil viele der Mamas die anfänglichen Hürden des Stillens selbst gut kennen, ist es ein perfekter Ort, um das Stillen in der Öffentlichkeit zu testen.
Schritt 2: Stillen in einem Mama-Kurs, in dem (vielleicht) nicht alle stillen
Natürlich gibt es auch viele andere Kurse und Treffen mit Mamas, bei denen du es mit dem Stillen wagen kannst. Vielleicht weißt du aber, dass viele deiner Mit-Mamas im Pekip, Babyschwimmen oder in anderen Kursen bereits früh aufgehört haben zu stillen.Der unterschiedliche Umgang mit den Babys und mit dem Leben darf einfach als normal genommen werden. Für die eine oder andere Mama geht damit aber vielleicht auch einher, dass einmal eine Frage gestellt wird. Da ihr auf Augenhöhe und in der gleichen Situation seid, darfst du dich da mutig rantrauen. So erlebst du, wie du wohlwollend mit anderen Müttern umgehen kannst und wie mit dir wohlwollend umgegangen wird.
Schritt 3: Stillen unterwegs mit vertrauten „Stillkumpaninnen“
Unter deinen Bekanntschaften aus Stillgruppe & Kursen finden sich sicher einige Mamas, die auch einmal riesige Lust haben, sich in einem Café zu treffen. Bestimmt sind auch erfahrenere Mamas dabei, die bereits die Geheimtipps eurer Stadt kennen. Ein Café mit einer Familienecke oder einem geschützteren Bereich eröffnet neue Möglichkeiten des ersten Stillens in der „richtigen“ Öffentlichkeit. Du kannst dich voll und ganz auf die Gespräche mit den Mamas konzentrieren. Das hilft dir auch, mögliche Blicke von Fremden gleich ausgeblendet zu lassen.
Schritt 4: Stillen auf dem nächsten Familientreffen
Die Stillgeschichten in Familien sind so unterschiedlich wie die Menschen. So kann es allerlei Ratschläge geben. Über die Häufigkeit des Stillens, das richtige Baby-Verhalten nach dem Stillen oder das Schlafverhalten wird sich dabei am liebsten ausgelassen. Auch darüber, wie schnell du auf das Weinen deines Babys reagierst. Das klingt nach einer großen Herausforderung. Doch inzwischen bist du geübt, hast Selbstvertrauen in den Ablauf des Stillens gewonnen und in die Kompetenz deines Babys. Solltest du bereits wissen, dass du eine nicht ganz so stillfreundliche Familie hast, dann instrumentalisiere ruhig auch deinen Partner. Oder überlege dir schon vorher, wie du am liebsten auf komische Kommentare reagieren möchtest. Das kannst du trainieren. Und am Ende: Wisse, dass es deine Familie vermutlich einfach gut mit euch meint. Weshalb auch immer sie die Ratschläge für eine gute Idee halten, sie werden nicht damit aufhören, wenn sie es nicht anders gelernt haben. Deshalb ist es gut, wenn du für dich einen guten Umgang damit findest. Egal, ob es um das Stillen, Schlafen, Weinen oder viele andere Themen geht, die folgen werden.
Schritt 5: Finale: Stillen einfach und überall
Irgendwann wirst du merken:
Es ist egal.
Egal wann.
Egal wo.
Egal wie lange.
Wenn dein Baby Hunger hat, wird es nicht leichter werden, es zu stillen, je länger du es warten lässt – im Gegenteil. So wirst du anfangen, dein Baby dann anzulegen, wenn es seine frühen Stillsignale gibt. Ganz so, wie du es zu Hause vermutlich auch praktizierst.
Natürlich still ich!
Tipps, mit denen du in der Öffentlichkeit kaum sichtbar stillen kannst
Die eine Mama stört sich wenig daran, wenn Bauch und Rücken sichtbar sind, während sie stillt. Eine andere Mama zeigt lieber Schulter und Dekolleté. Wir sind verschieden. Individuell. Genauso individuell solltest du diese Tipps für dich umsetzen, denn nicht alle werden sich für dich als geeignet herausstellen.
Kauf von spezieller, geeigneter Stillkleidung
Spezielle Stillkleidung wird inzwischen von vielen Kleidermarken geführt. Die Frage ist immer: Hält sie das, was sie verspricht? Mit dem idealen Stillschnitt wird wohl weiter noch etwas experimentiert werden. Denn bei so vielen unterschiedlichen weiblichen Körperformen ist es schwer, allen gerecht zu werden. Es gibt sogar schon erste Bestrebungen hin zu maßgeschneiderter Stillkleidung! Beim Online-Kauf ist zudem nicht immer ersichtlich, wie sich das Shirt jeweils zum Stillen öffnen lässt. Um dir eine Enttäuschung zu ersparen, kannst du entweder gleich mehrere Teile zum Test bestellen (wenn dein Stillbaby schon geboren ist) oder nur Teile, bei denen dir fotografisch gezeigt wird, wie dir das Shirt beim Stillen hilft, und das zu deinen Vorstellungen passt. Das versäumen viele Hersteller leider noch immer. Dabei gibt es durchaus innovative Ideen! Es lohnt sich, bei Marken wie Mamarella, Colline oder Noppies ebenso zu stöbern wie in den Onlinestores von H&M oder BonPrix. In regionalen Geschäften ist die Schwangerschafts- und Stillmode leider kaum noch erhältlich oder nur in sehr reduzierter Auswahl.
Stilltipps für Winter & kalte Tage
An kalten Tagen kommt ohne große Umschweife darüber hinaus ganz einfach die Schicht-Kleidung zum Einsatz. Ein Spagettishirt drunter, ein Top obendrüber – schon ist es fertig, das perfekte Stilloutfit. Das Top kann langärmelig sein oder kurzärmelig mit einem zusätzlichen Jäckchen drüber. Ganz nach deinem persönlichen Wärmeempfinden. Du schiebst dein Top weit genug nach oben. Der Ausschnitt vom Shirt unten drunter muss natürlich groß genug sein, damit du ihn unter die Brust ziehen kannst. Statt einem Top kannst du auch eine knöpfbare Bluse anziehen, welche du dann nur im „Stillbereich“ aufknöpfst. Sobald dein Baby angelegt ist, wird man nichts mehr von deiner Brust sehen – außer man gibt sich Mühe. Doch selbst dann ist es immer noch weniger als bei jedem Schwimmbadbesuch. Statt zwei Shirts kannst du natürlich auch ein Oberteil mit weitem U-Boot- oder V-Ausschnitt wählen und einen Schal über dein Dekolleté ausbreiten. Leider lassen sich viele Babys – spätestens, wenn sie größer werden – dann dazu verleiten, damit zu spielen, und dein Schutz ist bald Geschichte.
Im Sommer und an heißen Tagen
Alle speziellen Stilltops bestehen aus mehreren Schichten. Daher haben sie im Sommer nicht unbedingt einen wirklichen Vorteil. Ebenso gut kannst du die „Wintermethode“ an den Sommer anpassen. Statt unterschiedlich langer Ärmel der Oberteile funktioniert das Vorgehen ebenso mit zwei Träger- oder Spagettishirts. Neigst du dazu, stark zu schwitzen, und hast lieber leichte Kleidung, dann kannst du Naturmaterialien wählen. Dünne Stoffe aus Baumwolle, Hanf, Leinen oder Bambus haben den Ruf, im Sommer angenehmer zu sein. Deine Technik bleibt dieselbe: Ein Shirt bleibt unten und bedeckt Bauch und Rücken, das obere Shirt bedeckt deine Brust und dein Baby den Rest.
Milch für alle!
Ein häufiges Problem beim Stillen ist, dass die Milch beim Loslassen der Brust durch das Baby ungehindert spritzt. Das ist bereits zu Hause nervig – in der Öffentlichkeit aber besonders unangenehm. Da hilft dir eine Mullwindel, die du in diesem Moment fest auf deine Brustwarze drückst – so wird der Milchspendereflex unterdrückt.
Mach es dir leicht!
(1) Es geht nicht darum, dass du jetzt einen Striptease hinlegst, sondern darum, dass dein Baby seine natürliche Nahrung bekommt.
(2) Wenn du dich trotz der vielen Tipps einfach im Nebenraum wohler fühlst – mach das! Still bitte einfach und entspannt genau dort! Und: Mach es dir angenehm. Pack dir ein paar Podcasts aufs Handy, damit du wenigstens Unterhaltung hast, oder nimm dir deine vertraute Lieblingscousine mit, wenn du auf einem Familienfest bist.
(3) Mein Lieblingsgimmik für die Stillzeit sind immer noch Tragetuch und Tragehilfe. Du kannst ganz leicht lernen, wie du dein Baby darin für die Zeit des Stillens „tiefer“ setzt, sodass es ganz leicht an die Brust kommt und trinken kann.
(4) Stillkleidung muss außerdem nicht immer teuer sein, denn es gibt sie auch gebraucht, zum Beispiel in Kleinanzeigen, Tauschbörsen oder speziellen Mama-Börsen. Häufig wurden gerade die hochwertigsten Stillteile nicht oft getragen. Die Investition kann sich auch neu lohnen, wenn es bedeutet, dass du dich damit wohler fühlst und das Stillen mehr genießen kannst.
Dieser Artikel war in der Herbstausgabe 2017 des Print-Magazins erschienen.
Diese und alle weiteren Ausgaben findest du hier.
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Autorin: Tabea Laue
Tabea ist IBCLC-Stillberaterin und Baby-Coach. Sie begleitet Frauen in der Vorbereitung auf die Stillzeit, hilft ihnen beim Lösen von Stillproblemen und dabei, Herausforderungen in allen Phasen der Stillzeit zu überwinden. Online unterstützt sie so Frauen unabhängig von ihrem Wohnort mit Erste Hilfe Kursen, Workshops und Intensiv-Beratungen. Sie selbst lebt in Süddeutschland in einem Dorf am Fuße der Weinberge, wo sie auch ihr 2. Kind geboren hat, gemeinsam mit ihrem Mann und 2 Kindern.