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Wenn man mich am Anfang gefragt hat, wie es ist, Mutter zu sein, habe ich intuitiv geantwortet: „Es ist das größte Geschenk auf Erden und gleichzeitig die größte Herausforderung meines Lebens. Ich habe mich noch nie so glücklich in den einen und noch nie so schlecht in anderen Momenten gefühlt. Ich habe mich noch nie so verbunden und auch noch nie so allein gefühlt.“ Seitdem ich Mutter geworden bin – mein Sohn geboren wurde, habe ich mich als Mensch gleichzeitig mehr und mehr verloren. 

Ab dem ersten Moment an war ich komplett für ihn da. Ich habe meine Bedürfnisse extrem zurückgestellt. An sich ganz natürlich und verständlich, wenn man alle zwei Stunden stillt, wenig schläft und sich überhaupt die ganze Zeit um so ein kleines Wesen kümmert, das vollkommen von einem abhängig ist. Ich habe mich aber komplett daran gewöhnt und dann nicht nur die Bedürfnisse meines Sohnes vor meine gestellt, sondern noch dazu die Bedürfnisse meines Partners und die der anderen um mich herum. Außerdem habe ich lange Zeit den Moment verpasst, wieder damit anzufangen, meine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen. Ich habe wirklich nur funktioniert und so gut es geht die Bedürfnisse meiner kleinen Familie und auch meiner Umwelt gestillt. Irgendwann habe ich mich so sehr übergangen, dass ich nicht mehr richtig fühlen konnte, wer ich eigentlich bin. Ich habe wirklich gedacht, ich bin glücklich. Ich habe gedacht, es sei alles ok. Ich hatte so eine schwache Verbindung zu meiner inneren Stimme, dass ich es anfangs nicht einmal wahrgenommen habe. 

Doch mit der Zeit gab es immer mehr Situationen und Streits, in denen mir klar wurde, dass etwas nicht stimmt. Ich habe mich verloren gefühlt. Glaubenssätze kamen hoch, unbearbeitete Themen und Wunden. Ich hatte jetzt die Wahl, so weiterzuleben und alles zu verdrängen oder mich all dem zu stellen und zu heilen. Ich habe mich dafür entschieden, zu heilen. Also eigentlich hat mich das Universum fast gezwungen, denn wenn man immer wieder in tiefe Löcher fällt, hat man die Möglichkeit, dass es immer so weitergeht oder dass man hinschaut und guckt, was das für eine Chance für einen ist und was man daraus lernen darf. Und es war wirklich bitter nötig.

Ein Jahr später verstehe ich. Ich verstehe, dass es die größte Möglichkeit meines Lebens war, zu wachsen. Dass ich noch nie so ein großes Geschenk vom Universum bekommen habe, mich weiterzuentwickeln und wirklich zu heilen. Ein Fundament zu erschaffen, das mir hilft zu verstehen, was und wer ich eigentlich bin. Ich habe angefangen, in der Tiefe Selbstliebe zu entwickeln und liebevoll für mich einzustehen. Und anzunehmen. Anzunehmen, dass man als Mama nicht alles richtig machen kann. Dass wir täglich unser Bestes geben und dass es gut so ist, wie wir es machen. Wenn wir Potenzial zur Veränderung sehen und gern anders reagiert hätten, machen wir es beim nächsten Mal eben so. Anzunehmen, dass jetzt eben nichts weiter geht, als für mein Kind da zu sein und mich auszuruhen. Anzunehmen, dass ich gerade nichts anderes „schaffen“ kann, als Mama zu sein. Und wenn Zeit da ist, dass es dann mein größtes Bedürfnis ist, zu schlafen oder kurz durchzuatmen. 

Es war so hart. So schwierig. Ich habe zwischendurch gedacht, ich schaffe das nicht. Ich fand mich in zwei Zusammenbrüchen ohne Kraft und mein einziges Gefühl war: Ich kann nicht mehr. Aus diesem Schmerz heraus hat sich eine Möglichkeit der Heilung aufgetan, die größer und schöner nicht hätte sein können. Nie in meinem Leben hätte ich so schnell am Stück wachsen können. Ich habe geforscht, was meine negativen Glaubenssätze sind, und sie herausgefunden. Einmal ins Licht geholt, haben sie nicht mehr die Kraft, uns unterbewusst zu führen wie zuvor. Und ich habe immer wieder Licht hingegeben. Mir immer wieder bewusst gemacht, dass im jeweiligen Moment der Glaubenssatz wirkt und dass das nicht ich bin, sondern die Verletzung in mir. Ich habe gelernt, für mich einzustehen. Anfangs mehr mit dem Gefühl, mich durchsetzen zu müssen, vor allem meinem Partner gegenüber. Später liebevoller, weil ich wusste, dass das, was mir nicht gefällt, immer ein Spiegel meines momentanen Zustandes ist.

Ein Jahr später weiß ich, dass das, was ich da gerade aufbaue, bleibt. Dass das, was ich gerade aufbaue, wahre Selbstliebe ist, wahres Urvertrauen, wahres Selbstbewusstsein. Dass das, was ich da wieder aufbaue, mein verloren gegangenes Vertrauen ist und der Glaube an mich und meine Kraft. Mit viel Geduld, Annahme und Übung bin ich heute unfassbar dankbar für diese schwierige Zeit, in der ich mich so unverstanden gefühlt habe wie nie zuvor in meinem Leben und in der ich so sehr gewachsen bin, wie sonst noch nie in meinem Leben, jedenfalls nicht so tiefgründig und so rasant. Ich verstehe nun vollkommen, dass diese Zeit ein Geschenk des Universums war. Es sagte: Bitteschön, ich schenke dir diese Lebensphase, damit du erkennen darfst:

* was alles zu heilen ist,

* dir wieder Selbstliebe zu schenken,

* dass das Vertrauen allein in dir liegt, 

* dass du dieses Vertraun immer aus dir schöpfen kannst,

* was für eine Schöpferkraft in dir steckt.

Am meisten hat es mir geholfen zu verstehen, dass wir immer Erschaffer unseres Lebens sind. Wir sind niemals Opfer oder passiv. Alles passiert, damit wir wachsen und etwas lernen können. Ich habe oft gedacht: Womit habe ich das verdient? Warum muss es mir so schlecht gehen? Bis ich verstanden habe, dass ich nicht den Schmerz verdient habe, sondern die Chance, zu heilen, das Geschenk, mich zu verändern, um wirklich glücklich zu sein. 

Wachstum und Heilung

Vielleicht war deine Mama-Anfangsphase nicht so intensiv wie meine. Vielleicht hattest du auch so eine Phase, nur später oder gleich nach der Geburt. Vielleicht hattest du diesen Wachstum bzw. diese Heilungsphase, nur eben ohne die Reibung. Wie auch immer  es bei dir war, ich glaube fest daran, dass das Universum uns Mamas die wunderbare Chance gibt, schneller und tiefgründiger zu wachsen als sonst in unserem Leben. Nach dem Motto: Du wirst Mama, du hast die Möglichkeit, ein wundervolles Wesen voller Liebe in diese Welt zu bringen. Du hast jetzt die Möglichkeit, extrem schnell und damit einhergehend vielleicht auch schmerzhaft zu wachsen, damit du dich von Schmerzhaftem befreien, Altes verarbeiten und heilen kannst. Damit du selbst umso glücklicher sein und demzufolge umso liebevoller mit deinem Kind umgehen kannst. Du hast jetzt die Möglichkeit, deine eigenen Wurzeln zu hinterfragen und zu pflegen, wiederherzustellen oder überhaupt erst aufzubauen, damit du auch in der Lage bist, deinem eigenen Kind stabile Wurzeln zu geben. Wurzeln, damit es Urvertrauen hat, um später mit Flügeln Liebe in die Welt zu bringen.

Wer bin ich eigentlich?

Ich und du, wir sind Mama geworden. Und auch, wenn wir noch derselbe Mensch sind, sind wir es doch nicht mehr. Das Universum hat mir geholfen, mich zu hinterfragen, und mir gezeigt, dass ich noch so viel mehr sein kann. Auf diese Weise sind Urvertrauen, Selbstliebe und Mitgefühl tiefe Überzeugungen geworden. Am meisten hat es mir geholfen, mich zu fragen:

Wer wäre ich eigentlich, wenn ich jetzt nicht Mama wäre? 

Was will ich eigentlich? 

Welche Träume habe ich? 

Was bringt mein Herz zum Jauchzen? 

Wie kann ich die Bedürfnisse meines Kindes oder meiner Kinder, meines Partners und meiner direkten Umwelt bzw. Familie berücksichtigen, ohne meine zurückzustellen? 

Wer bin ich, neben meiner Mama-Identität?

Ich habe mir diese Fragen immer wieder gestellt. Die Antworten dazu aufgeschrieben. Sie mir immer wieder neu beantwortet. 

Was kann ich tun, um der Mensch zu sein, der ich sein kann und der ich sein möchte? 

Ich habe angefangen, mich damit zu beschäftigen. Ich habe verstanden, dass meine Gedanken und meine Gefühle der Ursprung eines glücklichen Lebens sind. Denn was ich denke, fühle ich, wie ich mich fühle, bestimmt meinen Zustand, meinen Umgang mit mir und anderen, meinen Tag. Meine Tage ergeben Wochen, Monate, Jahre – letztendlich mein Leben.

Ich habe gelernt, mir zuzuführen, was mich unterstützt, Yoga, Meditation, mich in jedem Moment anzunehmen, wie ich bin, die Gegenwart anzunehmen und zu feiern, positive Medien wie Hörbücher und motivierende Videos auf YouTube oder inspirierende Filme zu schauen. Und vor allem weiß ich, egal was passiert, dass alles immer für mich passiert. Wenn wir es zulassen, verletzlich zu sein und uns unseren Gefühlen zu stellen, wenn wir uns erlauben, zu hinterfragen, ob wir wirklich glücklich sind, und lernen, auf unsere Intuition, auf unsere innere Stimme zu hören, dann können wir das größte Wunder erfahren. Wir haben die Möglichkeit, die Person und damit auch die Mama zu werden, die wir sein können. Wir haben die Möglichkeit, ein Leben zu erschaffen, das wir uns nicht erträumt hätten zu leben. Wenn wir uns wieder darauf fokussieren, wer wir eigentlich sein wollen und wer wir eigentlich sind, dann können wir beginnen, Gedanken und Gewohnheiten zu etablieren, die dieses Potenzial in uns unterstützen.

Heute bin ich dankbarer als je zuvor in meinem Leben. Dankbar für mein Leben. Dankbar für diese unfassbar harte Lebensphase. Dankbar für den Wandel, für die Erkenntnis und vor allem dafür, dass ich meine Erfahrungen jetzt weitergeben darf, damit wir gemeinsam wachsen können und gemeinsam die Menschen und die Mamas werden können, die wir sein wollen und sein können. Voller Liebe und Vertrauen. Damit wir alle uns immer wieder bewusst machen, wer wir eigentlich sind. Wir alle sind individuelle Lichtwesen mit einem ganz besonderen Geschenk für diese Welt. Wir alle sind Liebe.

Dieser Artikel war in der Herbstausgabe 2017 des Print-Magazins erschienen.

Diese und alle weiteren Ausgaben findest du hier.

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Autorin: Julia Reinecke

Mama eines Sohnes, Yogini, Partnerin, Frau, Tänzerin und Optimistin. Yogalehrerin, Life- und Mama- Coach. 

www.juliassspiritualliving.com

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