Man sagt, alles hat seine Zeit. Und vielleicht spürst du bereits ganz deutlich, dass der Winter naht und eine herzliche Einladung im Gepäck hat.

Nicht etwa die drölfzigste Einladung zu einer Weihnachtsfeier im Kindergarten, im Sportverein, in der Schule, in der Firma oder beim Nachbarn des Onkels vom Hamster deiner Tante – sondern eine Einladung zur Stille und Entschleunigung.

Entschleunigung? Ausgerechnet im Dezember. Ja, ich meine das vollkommen ernst. Und ich werde dir auch sagen warum.

Es geht um die Frage, wie wir dem Weihnachtswahnsinn entkommen und darum, was wirklich zählt…

Für viele Mamas ist der Dezember eine große Herausforderung. Sie jonglieren mit Terminen, mit Wunschzetteln, mit der Weihnachtsplanung, mit der Verwandtschaft, mit den Nikolausstiefeln, mit den Einkäufen, mit der Weihnachtsdeko, mit der Silvesterplanung, mit Geschenkpapier, mit müden und oft auch kranken Kindern, mit Termindruck auf der Arbeit und mit den eigenen Ansprüchen. Sie haben das Gefühl, Hochleistung vollbringen zu müssen, in einer Zeit, in der die Natur aus guten Gründen in den Ruhemodus schaltet und zu einem Winterschläfchen einlädt.

Das führt dazu, das allein das Wort Weihnachten bei einigen unserer Mamaschwestern zu einem Augenrollen, zu Schnappatmung, zu Bluthochdruck oder zur Grünfärbung führt. So wie beim Grinch. Andere Mamas haben oder machen sich zwar keinen Stress, sind aber so genervt vom Weihnachtskommerz, der Herumreiserei und vom Konsumrausch ihrer Mitmenschen, dass auch hier die Weihnachtsstimmung eher grünlich als gülden gefärbt ist. Und wieder andere fühlen sich einfach nur nackt, ausgelaugt und bezwungen von dem Herbststurm, der gerade durch ihr Leben fegte und all die welken und leblosen Blätter mitriss, die einfach nicht abfallen wollten – obwohl es an der Zeit war, sie loszulassen. Dabei ist der Dezember vor allem eins: Ein Monat der Liebe. Und Hingabe.
Draußen ist es kalt. Stille und Dunkelheit ziehen ein. Und wir alle sind eingeladen auf den Grund unserer Innerlichkeit zu sinken. Energetisch ist der Dezember wie der ruhende Punkt eines Pendels. Der Advent ist eine Zeit des Rückzuges, des sich Vorbereiten auf das Neue, das in dein Leben kommen will. Und damit steht er im absoluten Kontrast zu unserer rastlosen Realität.

Seit einigen Jahren ist diese Zeit für mich besonders magisch. Ich erlaube es mir, mich zurück zu ziehen, Prioritäten zu setzen und Hilfe anzunehmen. Gleichzeitig habe ich viele neue Rituale eingeführt, die mich und meine Familie durch diese besondere Zeit des Jahres tragen und nicht nur für Erholung, sondern auch für zauberhafte Kindheitserinnerungen sorgen. Der Dezember ist uns heilig. 

Doch das war nicht immer so. Ich erinnere mich an eine Zeit in meiner späten Adoleszenz, in der Weihnachten irgendwie seinen Zauber verloren hatte. Und das stimmte mich wehmütig.

Dann wurde ich Mutter und obwohl ich den Grinch heiratete, genoss ich es sehr, meine Kinder dabei zu beobachten wie der Weihnachtszauber sie vereinnahmte – doch der Funke sprang nicht wirklich über. Ich verschenkte das Weihnachtsgefühl ohne es selbst zu haben. Das fühlte sich unstimmig an und ich begann darüber nachzudenken, wie ich es zurück bekommen könnte. Und da verstand ich, dass ich weniger Alltag und mehr Besinnlichkeit und Besonderheit brauchen würde, um in Weihnachtsstimmung zu kommen – und, dass ich auf ein Gefühl wartete, von dem ich gar nicht mehr richtig wusste, wie es sich überhaupt anfühlen würde. Das Buch war leer. Und wir begannen unsere eigene Weihnachtsgeschichte zu schreiben.

Wir alle können der Weihnachtszeit unsere ganz eigene Bedeutung geben

Wir können die Einladung des Dezembers zur Stille und Besinnlichkeit annehmen.
Wir können offline gehen. Wir können aufhören mit dem Weihnachtsmann zu drohen und diese Zeit zu einem bedingungslosen und wahrhaftigen Fest der Liebe machen. Wir können selbst einen Wunschzettel schreiben und gemeinsam unsere Visionen, Träume und Wünsche statt Dinge rauf schreiben. Wir dürfen uns einigeln und unsere Liebsten um uns versammeln – aber auch loslassen, was (oder wer) gehen möchte. Wir können aufhören uns Gedanken über das Haben und Wollen zu machen und einfach (zusammen) Sein. Wir dürfen vergeben, was vergeben werden kann. Wir können Rituale übernehmen, verändern und völlig neu erfinden. Und wir können anfangen zu vertrauen, dass das Schönste was wir unseren Kindern schenken können, unsterbliche Erinnerungen voller Geborgenheit und Knistern sind.

Wir alle geben jedes Jahr unser Bestes – nicht nur im Dezember, sondern ganzjährig. Und genau deswegen möchte ich dich einladen, dem Weihnachtswahnsinn einen Korb zu geben. Ich weiß, das ist ein mutiger Vorschlag – denn eigentlich entkommt man ihm nicht – oder doch? Zugegeben, es erfordert gegenüber der Familie, den Freunden, den Kollegen und vielleicht sogar gegenüber den Kindern ein liebevolles aber klares Nein für dieses tiefe Ja zu dir selbst und zum Rhythmus der Natur. Doch deine Kinder wollen ganz gewiss auch nicht, dass du ausgerechnet zu dieser, für sie so wichtigen Zeit des Jahres über deine Grenzen gehst. Es geht nicht um Perfektionismus oder Vollkommenheit – und by the way auch nicht um Unantastbarkeit. Es geht um Güte, (Nächsten)Liebe und Erdung. Es geht darum, sich selbst und einander zu sehen – und anzunehmen. Menschen und Umstände gleichermaßen. Und wie gut uns das gelingt, das sollten wir nicht an Geschenken messen. Ich sage nicht: Schenkt euch nichts. Aber ich sage: Schenkt euch Erinnerungen und Zeit statt Zeug.

Eine einfache Frage, die mir in stressigen Momenten oder beim Setzen von Prioritäten hilft:

Was ist (jetzt) wirklich wichtig? Und damit meine ich: Wirklich. Wirklich. Wichtig.

Zeit statt Zeug?

Wenn du jetzt einmal die Augen schließt, zurück in deine Kindheit reist und an Weihnachten denkst – dann erinnerst du dich vielleicht, aber auch nur vielleicht, an diese eine Puppe, die du dir so lange gewünscht hast oder an den Pullover, den dir deine Oma gestrickt hat – aber du könntest vermutlich nicht mehr sagen, was du in all den Jahren vom Weihnachtsmann bekommen hast und ob du glücklich darüber warst – oder nicht. Woran sich aber fast alle Menschen erinnern können ist die Heimlichkeit, das Kribbeln im Bauch, das Leuchten der Kerzen, den Duft der Räuchermännchen, den Klang der Weihnachtslieder, den Geruch von Plätzchen im Ofen und die Freude am nächsten Morgen, wenn man mit seiner neuen Puppe spielen konnte. Liegt nicht die eigentliche Besonderheit dieser Zeit in genau dieser Mischung aus Aufregung, Geborgenheit und Beisammensein? Letztlich sind es nämlich immer Emotionen die Erinnerungen schaffen – und nicht Dinge. Das liegt daran, dass Ereignisse, die mit starkem emotionalen Empfinden verknüpft sind, sich besonders tief ins Gedächtnis und ins Zellbewusstsein einprägen.

Während ich dies schreibe, erinnere ich mich an dieses eine Weihnachtsfest in meiner Kindheit. Es klingelte und ich lief zur Tür. Niemand war dort – nur ein Sack voller Geschenke. Und auch, wenn ich nicht mal mehr annähernd weiß was drin war, sehe ihn noch ganz deutlich vor mir. Wie er dort vor der Tür unserer Neubauwohnung im Erdgeschoss liegt, in der ich mit meiner Mama und meinen Großeltern lebte. Erst jetzt realisiere ich, dass dies genau die Art ist, auf die die Geschenke seit so vielen Jahren auch zu meinen Kindern kommen. Heute weiß ich natürlich, dass mein Opa sich damals immer in seinen Keller geschlichen hat, nachdem ER den Sack abgelegt und geklingelt hat, bevor er später mit einem Bier in der Hand zurück kam – welches er zufällig genau dann aus dem Keller holte, als der Weihnachtsmann die Geschenke brachte – aber das Kribbeln ist geblieben. Und urplötzlich kommt die Erinnerung an jenen Keller zurück, den ich als kleines Mädchen so oft, aber in meiner erwachsenen Gedankenwelt seit so vielen Jahren nicht mehr besucht habe. Ich sehe ihn dort stehen, meinen Opi – mit seinem schelmischen Lächeln. Und ich spüre die Geborgenheit die dieser Ort in mir auslöst – fast fühlt es sich so an, wie eine seiner liebevollen Umarmungen, die ich so sehr vermisse aber nie wieder spüren werde. Plötzlich laufen all die Tränen, die ich seit Monaten hätte weinen wollen. Und obwohl der Gedanke an dieses allererste Weihnachtsfest meines Lebens ohne ihn in mir so sehr schmerzt, wird mir voller Dankbarkeit bewusst, dass eines meiner größten Geschenke – jedes Jahr an Weihnachten und an jedem anderen Tag im Jahr – mein Opi war.

Geschrieben für dich von: Romy

Geschrieben für dich von: Romy

Als Mama, Naturliebhaberin, Autorin und Familienbegleiterin versuche ich jeden Tag das Geheimnis der Mutterschaft und die Essenz des Lebens ein klitzekleines bisschen besser zu verstehen. Mama zu sein fühlte sich für mich nie wie eine Rolle, sondern stets wie eine Reise an, die mich mal über unwegsames Kopfsteinpflaster und mal über entlegene aber wunderschöne Trampelfade führt. Ich habe kein Ziel, aber das Gefühl, die Richtung stimmt. Die Vorstellung, dass wir einander Weggefährtinnen auf unserer Reise sind und die Verantwortung für uns, unsere Kinder und unsere Erde gemeinsam mit mehr Leichtigkeit und Lebensfreude tragen können, erfüllt mich mit Liebe und Zuversicht.
Ich wünsche mir, dass ‚The Mothering Journey‘ sich für dich wie eine Umarmung anfühlt, die sagt: Du bist nicht allein.

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