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Wenn ein Baby in deinem Körper heranwächst, erwacht in dir ein untrügliches Gefühl für Richtigkeit. Dein Mama-Radar, wenn du es so verstehen möchtest. Es ist eine innere Stimme, die sich manchmal als Gefühl der inneren Zufriedenheit, Glückseeligkeit oder vielleicht als leiser und fast unmerklicher Zweifel äußert, gelegentlich aber als innere Unstimmigkeit, Launenhaftigkeit oder sogar als eine lautstarke Depression aus dir hervordrängt, um gehört zu werden. Dieses innere Gefühl für Richtigkeit kann man auch als mütterliche Intuition bezeichnen, die mit jeder Woche deiner Schwangerschaft stärker und machtvoller wird. Es ist ein Teil von Mutter Natur selbst, der hier in dir erwacht.

Die Natur regelt alle lebenserhaltenden Vorgänge – so auch die Schwangerschaft, Geburt und das Muttersein – über hormonelle Prozesse und Instinkte. Damit stellt die Natur sicher, dass das Leben mit größtmöglicher Sicherheit fortbesteht, auch wenn kein abrufbares Wissen oder eine Vorerfahrung vorhanden ist, um eine lebenserhaltende Maßnahme auch beim ersten Mal richtig auszuführen. Zu diesen Instinktreaktionen zählen zum Beispiel der Flucht- oder Kampfinstinkt, den du vielleicht selbst schon einmal erlebt hast.  Je weiter deine Schwangerschaft fortschreitet, umso mehr wird diese Instinktbereitschaft in dir zunehmen. Je näher der Zeitpunkt der Geburt rückt, umso dringlicher wird in dir das Bedürfnis erwachen, ein Nest für die Geburt und damit für die Ankunft deines Kindes zu schaffen. Dieser innere Trieb wird gegen Ende der Schwangerschaft fast übermächtig. Gewöhnlich versuchen wir, diesen inneren Drang nach Geborgenheit, Wohlbefinden und Sicherheit durch das Einrichten eines Kinderzimmers, den Kauf eines Kinderbettes, das Aussuchen eines Kinderwagens und das Vorbereiten der Babyausstattung zu befriedigen. Doch was dieser urmütterliche,  innere Trieb uns eigentlich sagen möchte, geht weit über das Vorbereiten einer babygerechten Ausstattung des Zuhauses hinaus. In uns Müttern erwacht eine unaufhaltbare Suche nach Geborgenheit und Sicherheit – im Innen wie auch im Außen.

Bei Geburtsbeginn übernimmt dein Instinkt die Kontrolle. Deine Sinne nehmen ihre Umgebung wahr und dein Körper reagiert aus einem inneren Wissen heraus: Ist deine Umgebung friedlich, vertraut, gewaltfrei und deinen Bedürfnissen entsprechend interaktiv, reagiert dein Körper, auf dem Hormon Oxytocin basierend, mit dem spontanen Loslassen deines Babys in diese friedliche, vertraute, gewaltfreie und bedürfnisorientierte Umgebung. Das ist ein ganz klares Ja zur Geburt. Damit leitet dein Instinkt alle notwendigen Handlungen in die Wege, um dein Baby mit dem geringst möglichen Widerstand loszulassen.     

Nehmen deine Sinne in dieser Situation ihre Umgebung als fremd, unruhig, fremdbestimmend und nicht deinen Bedürfnissen entsprechend wahr, reagiert dein Körper, auf dem Hormon Adrenalin basierend, mit einer Abgrenzungsreaktion (Flucht/Kampf)  – einem eindeutigen Nein zum Geburtsprozess und damit einem Sich-selbst-verschließen vor dem, was um dich vorgeht, und natürlich mit einem instinktiven Zurückhalten deines Babys. Dein Geburtsinstinkt lässt nicht zu, dass du dein Baby in eine Umgebung entlässt, die für dich durch unangenehme Einflüsse geprägt ist. Das wäre absolut widernatürlich, denn was für dich bedrohlich wirkt, ist möglicherweise eine Gefahr für dein Kind.

Deine wachsende mütterliche Intuition hat damit eine eindeutige Funktion: deine Umgebung so zu wählen und vorzubreiten, dass dein Körper bei Geburtsbeginn eine Umgebung vorfindet, die für dich größtmögliche Geborgenheit, Selbstbestimmtheit, achtsame und bedürfnisorientierte Zuwendung und damit größtmögliche Sicherheit für dein Kind bedeutet. Unter diesen Voraussetzungen übernimmt die Natur in dir – dein Geburtsinstinkt. Du wirst aus einem inneren Drang heraus jene Handlungen tätigen, Bewegungen ausführen und Körperhaltungen einnehmen, die es dir ermöglichen, dich für dein Kind zu öffnen, um ihm damit den geringstmöglichen Widerstand zu bieten. Unter diesen Voraussetzungen kann die Natur die maximal mögliche körperliche Sicherheit im Geburtsprozess gewährleisten.

Innere Sicherheit und äußere Sicherheit

Zugunsten der Sicherheit für Mutter und Kind wählen viele werdende Eltern eine Umgebung für die Geburt aus, die Sicherheit durch technische Überwachung und medizinische Kontrolle des Geburtsprozesses zu erzielen versucht. Zugunsten dieser Überwachung und Kontrolle werden die Selbstbestimmtheit der werdenden Mutter und ihre Instinkthandlungen häufig so sehr eingeschränkt, dass ihre Umgebung zum Störfaktor wird, und damit zum klaren Hindernis für einen instinktiven und damit maximal sicheren Geburtsprozess. Der gewählte Geburtsort wird als Garant für Sicherheit betrachtet. Dabei ist der Geburtsort – ganz egal, ob das eine Klinik ist oder das eigene Zuhause – reduzierbar auf die Definition „Gebäude”. Diese Wände bieten im schlimmsten Fall Schutz vor Umwelteinflüssen und im besten Fall Komfort und Behaglichkeit. Die Sicherheit, die wir uns für einen möglicherweise gefahrvollen Geburtsprozess wünschen, können wir jedoch nur in der kompetenten Begleitung einer fachkundigen und einfühlsamen Person finden, die unser Befinden richtig einschätzen kann, um uns nötigenfalls die Hilfe zukommen zu lassen, die wir benötigen, um einen schwierigen Geburtsprozess aus eigener Kraft oder nötigenfalls durch medizinische Hilfe sicher zu überstehen. Ein Gebäude an sich bietet uns hier keine Hilfestellung. Es ist wichtig, das grundlegende Bedürfnis hinter der Wahl eines Geburtsortes zu verstehen. Ich nenne es das Bedürfnis nach äußerer Sicherheit.

So schaffst du dir deine äußere Sicherheit

Würde man das Thema „Geburt und Geburtshilfe” als Landschaft darstellen wollen, so käme es wohl einem sehr großen, unüberschaubaren Wald gleich – je nach Lichteinfall freundlich, üppig, abenteuerlich, aber auch gewaltig und mitunter bedrohlich. Als Gebärende fühlt man sich immer wie ein blinder Wanderer in diesem Wald, und wir Frauen tun gut daran, uns eine Person an unsere Seite zu wählen, die mit dem Wald, in den wir uns hineinbegeben, bestens vertraut ist. Die sowohl die dunklen Wege als auch die hellen Pfade durch diesen Wald kennt und uns mit viel Ruhe und Geduld unseren eigenen Weg hindurchfinden lässt. Die uns als Stütze bereitsteht, wenn wir eine Schulter zum Anlehnen brauchen, um den nächsten Steilhang zu schaffen. Die genau abgrenzen kann, welcher Weg für uns noch eigenständig begehbar ist, und wann es notwendig ist, Hilfe in Anspruch zu nehmen, um heil auf der anderen Seite anzukommen. Besonders werden deine innere Zuversicht und dein Vertrauen in deine geburtshilfliche Begleitung gestärkt, wenn du in Erfahrung bringen kannst, wie diese in möglicherweise gefahrvollen Situationen handeln wird und wo im Wald sich diese Gefahren verbergen könnten. Wenn dir diese Person den Wald begreifbar und überschaubar halten kann, nimmt dir das die Angst vor der dunklen Seite des Waldes – deinen negativen Vorstellungen darüber, was hinter dem nächsten Baum auf dich lauern könnte. Deine Angst schwindet, wenn du begreifst, dass deine Vertrauensperson genau weiß, wo Achtsamkeit geboten ist. Mit so einem erfahrenen Guide an deiner Seite bekommst du sehr rasch das Gefühl, ganz bei dir bleiben zu können – mutig und in vollem Vertrauen einen Schritt vor den nächsten setzen zu können. Denn es wird jemand da sein, der dich begleitet und der das Terrain für dich im Auge behält. Du kannst in vollster Hingabe an das Gehen deine Augen schließen und den Waldboden unter deinen Füßen spüren – den Weg das Ziel werden lassen, der Wald selbst werden, im Wissen, es ist jemand da, der die Grenzen und Grauzonen, die Tiefe dieser Erfahrung kennt. Jemand, der weiß, wie du dich fühlst, während du im vollen Ausmaß erfahren darfst, was du gerade durchlebst. Jemand, der versteht, was es in dir bewirkt, wenn du diese Herausforderung aus eigener Kraft bewältigen kannst. Mit deinem Guide – deiner vertrauten Hebamme – wird es plötzlich ganz gleichgültig, wo genau sich dieser Wald befindet. Der Geburtsort wird irrelevant. Die wachsende äußere Sicherheit schafft plötzlich Raum für ein ganz neues Gefühl: das leise Erwachen deiner inneren Sicherheit.

So erwacht deine innere Sicherheit

Innere Sicherheit erwacht in dir, wenn jemand die äußeren Umstände der Geburt für dich so überschaubar hält und unspektakulär gestaltet, dass du dich ganz der Geburtsarbeit in deinem Inneren zuwenden kannst. Dann kannst du dich der wirklich wichtigen Vorbereitung für die Geburt widmen: Dem Erkunden und Stärken deiner eigenen Ressourcen. Finde heraus, was dich zur Wellenreiterin werden lässt, die voll Vorfreude den Horizont beobachtet und nach der nächsten Welle Ausschau hält, um sich mutig und ehrfürchtig von ihr an einen anderen Ort tragen zu lassen. Stärke dein Körpergefühl und die Verbindung zu deinem Kind. Beginne, die Geburt als Liebesakt zu verstehen. Mach dir die Schwerkraft – die Anziehungskraft der großen Mutter – zu Nutzen und lass dich in vollster Hingabe auf sie ein. Übergib dein Kind an diese Kraft, und sie wird es ohne große Anstrengung aus deinem Körper tragen. Entdecke die Macht deines Atems und wie er dich selbst über die mächtigsten Empfindungen hinwegtragen kann. Lass deine Intuition und deinen Instinkt deine täglichen Schritte bestimmen und in Folge alle geburtsrelevanten Entscheidungen und Handlungen. Lerne der inneren Stimme zu vertrauen, die dich in größtmöglicher Sicherheit durch die Schwangerschaft, die Geburt und dein Leben als Mutter deines Kindes geleiten wird. Mit jedem Schritt wirst du sehen, dass ein urmütterlicher Teil in dir Bescheid weiß, was zu tun ist. Das wird deine innere Sicherheit ins Unermessliche wachsen lassen und deine Selbstbestimmtheit in allen Lebenslagen unterstützen.

In Sicherheit gebären

Wir gebären nur dann wirklich sicher und in einem Gefühl, uns in vollstem Vertrauen dem Geschehen der Geburtsreise hingeben zu können, wenn wir innere und äußere Sicherheit entwickeln konnten. Dabei ist wichtig, dass die Entscheidungen, die wir zugunsten unserer äußeren Sicherheit getroffen haben, unsere instinktiven Handlungen unterstützen und unsere eigenen Ressourcen bestärken. Sobald jene Faktoren, die eine äußere Sicherheit gewährleisten sollten, unsere Instinkthandlungen  und  unsere eigenen Ressourcen zur eigenmächtigen Geburtsbewältigung zu limitieren beginnen, findet jegliches instinktives Handeln und damit ein natürlicher Geburtsverlauf ein definitives Ende. Die äußeren Sicherheitsfaktoren beginnen dann, zu Risiken zu werden, und gefährden sogar jene grundlegende Sicherheit, welche die Natur für diesen Prozess in uns Frauen durch Instinkthandlungen geschaffen hat. 

Der größte Stolperstein auf dem Weg zur äußeren Sicherheit ist die Auswahl der Geburtsbegleitung und des Geburtsortes. Diese Entscheidungen sollten immer darauf ausgerichtet sein, dass den eigenen mütterlichen Ressourcen zur ganzheitlichen Bewältigung der Geburt – die Autonomie und Selbstbestimmtheit, um Instinkthandlungen zuzulassen, Bewegungsfreiheit, bedürfnisorientierte Zuwendung, Geborgenheit und ein Gefühl der Normalität sowie das Gefühl der Richtigkeit und Natürlichkeit dieses Vorganges (Gewahrsein) – bedingungsloser Vorrang gewährt wird. Sicherheit erwächst niemals im Zusammenhang mit dem Gefühl, vor möglichen Gefahren bewahrt werden zu müssen. Dieses Gefühl führt auf direktem Weg in die innere Abgrenzung vom Geburtsgeschehen.

Ein wundervolles Zitat von Nelson Mandela bringt mit wenigen Worten so treffend zum Ausruck, was ich dir mit diesem Artikel begreifbar machen möchte: „Mögen deine Entscheidungen deine Hoffnungen widerspiegeln, nicht deine Ängste.” Wenn du in Sicherheit gebären möchtest, dann wähle die Faktoren, die deine Sicherheit gewährleisten sollen nicht danach aus, wovor du Angst hast, wenn du ans Gebären denkst. Wähle dir eine achtsame und vertrauensvolle Begleitung für die Geburt aus, die dich dabei unterstützt, deine Ängste zu reflektieren, zu verstehen, woher sie kommen, und sie aufzulösen, indem sie dir verständlich macht, wie du mögliche Risiken, die dir Angst machen, vermeiden kannst. Und dann schreite mutig voran und begib dich hoffnungsvoll auf die Reise, die vor dir liegt. Der Weg zu innerer und äußerer Sicherheit ist immer mit einem Auseinandersetzen mit den eigenen Ängsten gesäumt, aber es ist es wert, diesen Ängsten ins Auge zu blicken und sie ein für alle Mal aus dem Weg zu räumen. Dann wird aus dem dunklen Wald, in den du dich hineinbegibst, plötzlich ein sonnendurchfluteter Ort der Geborgenheit, und die Reise, die vor dir liegt, zu einem großartigen Abenteuer, das dich und dein Kind auf wundervolle Weise bereichern und für immer in Liebe verbinden wird.

Ich wünsche dir auf diesem Weg ein mutiges Herz und viel Vorfreude auf die wohl großartigste und erfüllendste Reise deines Lebens.

Isabella

Dieser Artikel war in der Sommerausgabe 2017 des Print-Magazins erschienen.

Diese und alle weiteren Ausgaben findest du hier.

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Autorin: Isabella Ulrich

Isabella ist Mutter von zwei Söhnen. Sie ist als Dipl. Elternbildnerin mit Schwerpunkt Schwangerschaft, Geburt und Elternwerden tätig. Als Geburtsmentorin begleitet sie werdende Eltern auf ihrem Weg zur Wunschgeburt. Sie ist Autorin mehrerer Bücher und leitet Kurse, Seminare und Fortbildungen für werdende Eltern und geburtshilfliche Fachkräfte zu diesem Thema. Isabellas Buch “Instinctive Birth” gehört zu meinen absoluten Lieblingsbüchern zum Thema Geburt. 

www.instinctivebirth.org

 

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