Ein kleines Bio-Café im urbanen Süden Stuttgarts. Mittagspause, alle Tische sind voll, die Menschen beugen sich hungrig über ihre Teller voller feinster hausgemachter Köstlichkeiten. Ich sitze mit 4 mir fremden Menschen zusammen und es lässt sich nicht vermeiden, das Gespräch der beiden Paare mitzubekommen – zu dicht sitzen wir zusammengedrängt. Und wie das Leben so spielt, stellt sich heraus, dass eine der beiden Frauen schwanger ist. Wie schön! Als Hebamme spitzt man da vermutlich tatsächlich ein wenig die Ohren.
Sie erzählt dem anderen Paar am Tisch, dass es ihr jetzt richtig gut gehe, das Baby wachse und gedeihe und sie könne es endlich spüren. Seitdem fühle sie sich noch verbundener mit dem Kind. Wunderbar! Das findet auch das befreundete Paar. Sie lächeln und nehmen Anteil und sind ganz Ohr. Und dann kommt ein Satz, der die lockere Stimmung mit einem mal umschwingen lässt. Sie hätten sich letzte Woche das Geburtshaus angeschaut und seien nun verbindlich dort angemeldet, es sei wirklich sehr schön dort und sie hätte schon einige der Hebammen dort kennenlernen können.
Zögerlich schluckt die andere Frau Ihre Mangold-Quiche runter. „Okeeeee …“ sagt sie. „Und kennst du den Arzt auch schon?“. Der werdende Vater klärt sie freundlich darüber auf, dass es dort keine Ärzte gäbe, „nur“ Hebammen, davon ne ganze Menge, unter der Geburt seien sie immer zu zweit, und man lerne sie alle vorher kennen. „Total gut für uns, genau das Richtige! “ schließt er.
„Okeeeee …“ tönt es wieder zögerlich aus dem kauenden Mund der anderen Frau. Sie wirft ihrem Mann einen Blick zu. Er versteht sofort und kommt ihr zu Hilfe: „Aber habt ihr da denn gar keine Angst?“ „Angst? Wovor?“ fragen die beiden werdenden Eltern wie aus einem Munde. „Na, dass was passiert natürlich!!“ antwortet der Mann mit leicht erhöhter Stimme – offenbar verwundert darüber, dass er sich auch noch erklären muss. Dieses Mal springt seine Frau hilfreich ein: „Naja, es kann ja soooo schnell was passieren bei einer Geburt!! Ich hab das zwar selbst noch nicht erlebt, aber was man alles so hört … Da geht es ja schnell mal um Leben und Tod!! Und dann steht ihr im Geburtshaus ohne Arzt da. Was dann?“
Die beiden Besorgten werden nun informiert über Vorsichtsmaßnahmen der Hebammen (es werden nur gesunde Mütter mit gesunden Kindern angenommen etc.), über deren langjährige Erfahrung, über Verlegungsmöglichkeiten in die nahegelegenen Klinik, frühzeitige Entscheidung dazu und so weiter. Doch das alles scheint ungehört zu verklingen, denn die beiden legen jetzt noch einen Zahn zu: „Also ich finde ja ganz ehrlich – und Stefan stimmt mir da sicherlich zu, nicht wahr Schatz?“ – Stefan nickt schon eifrig bevor er überhaupt weiß, wobei er eigentlich zustimmen soll – „ich finde ja, dass ihr für euer Kind verantwortlich seid! Und da könnt ihr doch nicht einfach entscheiden, dass es in solch einer unsicheren Umgebung auf die Welt kommen muss. Was denkt ihr Euch nur dabei?“
Langsam dämmert den beiden freudestrahlenden Eltern, dass sie hier nicht auf Gleichgesinnte gestoßen sind und sie werfen sich schnelle Blicke zu, die eine aufsteigende Verunsicherung nicht leugnen lassen. „Ja schon, aber wir …“ setzt sie wieder an, während sie schützend ihre Hand auf ihren sich rundenden Bauch legt, wird aber sofort rüde von Stefans engagierter Partnerin unterbrochen: „Es ist einfach gefäääääährlich!! Stell dir mal vor, was da alles passiiiiieren kann!“„Passiiiiieren kann!!“ echot es aus Stefans Richtung. Die beiden reden eifrig immer weiter, während ihre Quiche vor ihnen kalt wird. Durcheinander geworfene Fetzen vom Horror-Geburts-Szenarien purzeln kreuz und quer über den Tisch und die beiden Zurechtgewiesenen werden immer kleiner auf ihren Stühlen. Ganz im Gegensatz zu ihren Augen. Und zu meinen!
Und dann kommt der Endspurt, der total verrückte, verschobene Satz – für mein Gefühl der absolute Übergriff: „Also Stefan und ich sind ganz klar dagegen. Ganz klar! Wir werden alles daran setzen, dass Ihr Euch das anders überlegt. Wir können nicht schweigend zusehen, wie Ihr Euch samt Eurem Kind ins Unglück stürzt! Hab ich Recht, Stefan?!“ „Ganz klar!“ gibt dieser deutlich von sich und verschränkt selbstgerecht seine Arme über seinem Bauch, offenbar sehr zufrieden mit dieser klaren Ansage. Die schwangere Frau und ihr Partner sind längst verstummt. Beide schauen auf den Boden um den bohrenden Blicken des anderes Paares auszuweichen.
Ohrenbetäubendes Schweigen liegt über dem Tisch – und wird abrupt unterbrochen vom Klappern meines Besteckes, welches ich entschlossen in meinen Teller fallen lasse. Und vielleicht vom lauten Klopfen meines Herzens. Es klopft vor Aufregung, weil ich sowas sonst nicht mache. Und vor Entschlossenheit, die mich dazu bringt, es doch zu tun: mich einzumischen.
Freundlich aber bestimmt sage ich, dass ich es leider nicht verhindern konnte, das Gespräch mitzubekommen, gratuliere dem schwangeren Paar zu ihrem Kindchen und dann zu ihrer Entscheidung für eine außerklinische Geburt. Auch, dass ich selbst Hebamme bin, viele Geburten in der Klinik und zuhause begleitet und selbst meine 3 Töchter zuhause geboren habe, sage ich dazu. Und dass es eben ein Trugschluss ist, dass Geburten außerhalb einer Klinik per se gefährlicher sind! DAS STIMMT SO EINFACH NICHT!!!
Bei jeder Geburt gibt es natürlich Unabwägbarkeiten, die KEIN MENSCH DER WELT voraussehen kann! Und doch ist es einfach eine Tatsache, dass die Wahrscheinlichkeit, ein Kind natürlich und völlig gesund zu gebären VIEL höher ist, als dass dabei etwas schief geht! Wie um alles in der Welt hätte denn sonst die Menschheit bis heute überleben können??
Eine natürliche, unkomplizierte Geburt ist umso wahrscheinlicher, je mehr wir die Frau unter der Geburt IN RUHE lassen! Und damit rufe ich in keinster Weise zu flächendeckenden Alleingeburten auf – das ist mir ausgesprochen wichtig klarzustellen! Es geht mir nur darum, dass klar wird, was „in Ruhe lassen“ bedeutet.
• In Ruhe lassen bedeutet für mich, dass ich als Hebamme die Frau vor jeglichen Stressoren schütze, die ihre Geburt beeinträchtigen könnten. Dazu gehört für mich auch, dass ich ihr eben nicht fremd bin, sondern wir uns nach Möglichkeit schon in der Schwangerschaft kennen lernen und vertraut werden miteinander, dass ich ihre Wünsche für und Visionen von der Geburt kennen lerne, dass ich weiß was sie bedrückt und ängstigt und wir uns diese Dinge gemeinsam ansehen. Auch gehört für mich dazu, dass der Partner mit einbezogen wird und auch seine Ängste und Unsicherheiten einen Raum bekommen. Schon in der Schwangerschaft sollten wir im besten Fall als gutes Team zusammen wachsen – die Schwangere, der werdende Vater, und die Hebamme. So bin zumindest ICH schon mal kein Stressfaktor mehr.
• In Ruhe lassen bedeutet für mich auch, dass ich jede Frau individuell betrachte, dass ich ihrem Körper Raum gebe für seinen eigenen Rhythmus und die Zeit die er benötigt, um bestimmte Vorgänge zu bewältigen. Auch das Kind will gesehen werden und ist kein Maschinchen, dass einfach alles in einem vorgesteckten Rahmen erledigt. Es bringt auch seine eigene Geschichte mit und damit sein eigenes Tempo und individuelle Bedürfnisse. Diese lassen sich schon unter der Geburt erkennen und haben genauso ein Recht darauf, gesehen zu werden!
• In Ruhe lassen heisst für mich ebenso, dass ich der unglaublichen Vielfalt Beachtung schenke, die sich in Geburten zeigen kann. Kein Mensch ist wie ein anderer und genauso ist auch keine Gebärende wir eine andere! Ich habe Frauen erlebt die über mehrere Stunden in jeder Wehe meinen Namen riefen und meine Bestärkung und meinen Zuspruch benötigten. Genau so habe ich Frauen erlebt, die ganz in sich selbst ruhend, zurückgezogen, in sich versunken ihr Kind geboren haben ohne mich offensichtlich zu brauchen. Und zwischen diesen beiden Extremen gibt es alle Farbschattierungen an Möglichkeiten, wie eine Geburt aussehen kann.
• In Ruhe lassen bedeutet für mich nicht zuletzt, dass ich absolutes Vertrauen habe in die Fähigkeiten von uns Frauen, unsere Kinder gesund und wohlbehalten auf die Welt zu bringen – aus unserer eigenen Kraft heraus ohne routinemäßige Eingriffe von außen. Es geht darum, da zu sein. Einfach DA ZU SEIN! Für alles was sich zeigt, für alles was da kommt. Da zu sein für alles, was diese kleine Familie mit sich bringt für diesen unglaublich tiefen, wichtigen, historischen Moment der Geburt. Und je nachdem was sich mir zeigt, kann ich handeln oder eben nicht.
Noch besser: wir fangen endlich an das „einfach da sein“ auch als eine wertvolle Handlung zu sehen. Denn ich bin doch aktiv mit all meinen Sinnen voller Wachsamkeit, Achtsamkeit und Hingabe bei dem wunderbaren Geschehen vor meinen Augen, ohne dabei mit meinen Händen in einen überflüssigen, ja sogar gefährlichen Aktionismus zu verfallen.
Und genau das birgt einen unendlich großer Schatz: die Sicherheit 1:1-Betreuung!
Es ist längst erwiesen, dass die 1:1-Betreuung der größte Sicherheitsfaktor unter der Geburt darstellt! Es sind nicht die vielen medizintechnischen Geräte, Ärzte im 24 Stunden Dienst oder gar das Überangebot an prophylaktischen medizinischen Maßnahmen, die eine Geburt heute sicher machen. Es ist so viel einfacher!
Alles was es braucht ist ein geschultes Auge, ein offenes Herz, wache Sinne und ZEIT! Zeit, die ich voll und ganz dieser EINEN Geburt widmen kann. Dann kann ich sehr wohl die wenigen Fälle, in denen die Natur doch etwas nicht optimal lösen kann, erkennen und entsprechend handeln. Und in all den vielen Fällen, in denen wir Frauen darauf vertrauen können, dass unser wunderbarer Körper alle Voraussetzungen mit sich bringt, ein Kind perfekt zu gebären – in all diesen Fällen reicht es aus, wenn ich „einfach“ DA BIN!
Mein innigster Wunsch ist es, dass dieses einfach da sein wieder überall möglich wird wo Frauen Kinder auf die Welt bringen. Denn nicht für jede Frau ist das eigene zu Hause oder ein Geburtshaus der richtige Ort. Nicht jede Frau darf überhaupt außerklinisch ihr Kind gebären, weil sie vielleicht durch eine Krankheit vorbelastet ist o.ä. Aber auch diese Frauen und Kinder brauchen die 1:1-Betreuung dringender als je zuvor!
Wie oft wurde ich mutig genannt, weil ich meine Kinder zuhause geboren habe, während ich, ehrlich gesagt, die Frauen mutig finde, die sich in eine Geburtsklinik begeben. Ich wünsche mir sehnlichst, dass das aufhören kann. Dass wir unseren Mut nicht mehr mit der Wahl des Geburtsortes ausdrücken müssen, sondern im naturgewaltigen Akt des Gebärens an sich unter Beweis stellen dürfen! Jeder Ort sollte uns die maximale Sicherheit – die 1:1-Betreuung ermöglichen!
Nicht alles hiervon habe ich in diesem kleinen Café am Tisch mit den beiden Paaren zum Besten gegeben. Aber über die Statistiken zur 1:1-Betreuung und zu den tatsächlichen Gefahren des Personal- und Zeitmangels in den meisten Geburtskliniken habe ich sehr klar gesprochen. Und darüber, dass eine Geburt etwas unfassbar intimes und persönliches ist und es niemandem zusteht, von außen über unsere Entscheidungen diesbezüglich zu urteilen!
Das Schweigen am Tisch war nicht weniger laut nachdem ich geendet hatte. Aber es war deutlich eine andere Stimmung zu spüren. Die werdenden Eltern sahen mich mit einem wiedergefundenen Leuchten in den Augen an und während sie sanft ihr Kind streichelte, sah ich wie sie sich aufrichtete. Da saß sie wieder in ihrer vollen Größe und ich konnte die Krone auf ihrem Haupt wieder sehen. Ihr König neben ihr strich mit der Hand liebevoll über ihren Rücken. Ich wünschte den beiden von Herzen eine stärkende und würdevolle Geburt und verließ das Café mit dem Gefühl, dass sich mein Herzklopfen gelohnt hatte.
Es lohnt sich immer, unsere Stimmen zu erheben –
für die Wahrheit, für die Würde, für die Liebe!
Geschrieben für dich von: Annina
Ich bin Annina. Als Hebamme habe ich das große Privileg, viele wundervolle Geburten erlebt zu haben. Nicht zuletzt die wunderschönen Geburten meiner eigenen 3 Töchter. Nicht alle Geburten, bei denen ich dabei war, verliefen leicht oder schnell. Viele waren wirkliche Herausforderungen für die Mutter und das Kindchen. Doch eines haben sie alle gemeinsam: sie sind ein wahres Wunder! Immer und immer wieder stehe ich demütig und zu tiefst berührt vor diesem Wunder der Schwangerschaft und Geburt.
Es ist mir ein Herzensanliegen, Frauen in dieser so besonderen Phase ihres Lebens, auf ihrer Reise ins Mutter-Sein, zur Seite zu stehen und sie daran zu erinnern, dass alles Wissen und Können für diese Aufgabe schon in ihnen liegt. Es darf wieder wachgerufen werden, damit wir wieder freien Zugang dazu haben und somit unser größtes Potential entfalten können.