Titelbild: Adobe Stock © coka
Kennst du SIE noch, die wilde Frau in dir? Das wachsame Wesen in dir, das mit der Natur um dich herum in Verbindung ist? Die intuitive, weise Frau in dir, die ganz genau weiß, was gut für sie ist? Die sinnliche Reisende in dir, die sich immer wieder aufs Neue selbst entdeckt? Oder wurde sie schon erfolgreich gezähmt und dressiert, in zeitgemäße Kleider gepackt und ihrer sinnlichen Wildheit beraubt? Kennst du sie noch, die wilde Tänzerin in dir? Die sich sanft Wiegende – die wild Stampfende – die laut trällernde Wilde, die es liebt, ihren Körper zu spüren und sich im Rhythmus der Natur zu wandeln? Die sinnliche Schönheit in dir, die sich mit jeder Bewegung offenbart? Oder folgst du schon anderen Rhythmen? Die der schnellen Welt um dich? Den Vorgaben deines Terminplaners? Dem Rhythmus anderer?
Wenn man heute als junges Mädchen zur Frau heranwächst, bleibt meist wenig Raum für die Entwicklung der ureigenen Weiblichkeit. Schon als ganz junges Mädchen wird man mit den je nach Kultur und Gesellschaft gültigen Rahmenbedingungen konfrontiert, in denen sich ein Mädchen und im späteren Verlauf eine Frau zurechtzufinden hat. Es gibt in unserer Kultur eine ganz klare Vorstellung davon, wie eine Frau sein sollte – wie ihr Körper idealerweise geformt sein sollte, wie sie sich zu kleiden hat, wie sie ihren Körper durch Makeup und Schmuck zur Geltung bringen soll, welchem Rollenbild sie zu entsprechen hat. Stelle ich zehn erwachsenen Frauen die Frage: „Was an dir ist für dich ur-weiblich? Was an dir definiert dich als weibliches Wesen?“, ernte ich zehnmal einen betretenen Blick. „Was jetzt? Was meinst du damit?“ Für manche Frauen ist es ihr Körper, die Brüste, die Rundungen, oder eben, solche nicht zu haben. Für andere ist es die Art, wie sie sich kleiden und schmücken, wie sie ihren Körper zum Ausdruck bringen, worin sie ihre Weiblichkeit erkennen. Andere wiederum definieren sich als Frau durch die Rolle, die sie in ihrem Umfeld einnehmen: Abteilungsleiterin, Geliebte, Partnerin und Mutter zu sein. Großmutter zu sein – der Ruhepol für die Familie, die sie nähren und pflegen. Ganz häufig wird die eigene Weiblichkeit auch über das männliche Gegenüber definiert. Das, was dem Mann gefällt, was ihn reizt und anzieht: der Duft eines typisch weiblichen Parfüms, das zart schimmernde Rosa auf den Lippen, das sich sanft nach oben wölbende Dekoletté. Schlichtweg das, was dem Mann gefällt. Für einige Frauen liegt ihre Weiblichkeit in ihrem Zyklus, der Fähigkeit, ein Kind zu empfangen und in ihrem Körper heranwachsen zu lassen, gebären zu können. Doch welche Frau hat noch einen natürlichen Zugang zu ihrem Zyklus und versteht noch das Geheimnis der weiblichen Blutmysterien? Ist wahre weibliche Urkraft in den verschiedenen weiblichen Lebensstadien und Archetypen zu finden? Der Tochter, der Geliebten, der Mutter, der Amazone, der Zauberin, der Weisen Alten, um nur einige zu nennen? Was entdecke ich an Weiblichkeit in mir, wenn ich alle gesellschaftlich und kulturell geprägten Merkmale einer Frau weglasse? Wenn ich meine Kleider, meinen Schmuck, mein Makeup ablege? Wenn ich davon absehe, meine Haare auf eine bestimmte Art zu trimmen und zu stylen? Wenn ich meine Rollenbilder vom Frausein über Bord werfe? Wenn all das, worüber ich mich als Frau definiere entfällt, und ich mich vor allem von dem Versuch, dem männlichen Gegenüber zu gefallen und attraktiv zu sein, verabschiede? Was lässt sich jenseits der weiblichen Verhaltensweisen finden, das uns Frauen an Ur-Weiblichkeit – an Urkraft – zugrunde liegt?
Der Verlust deiner Komfortzone
Die Art und Weise, wie du dein eigenes Frausein lebst, wird früher oder später zu einer Art Komfortzone. Dieses Frausein ist meist auf dein soziales Umfeld abgestimmt und lässt sich in deinem Kulturkreis ohne großen Widerstand umsetzen. Ganz egal, wie alt du bist, wie lange du in deinem Kulturkreis und den damit verbundenen gesellschaftlichen Normen gelebt hast und wodurch auch immer du dein Frausein definierst – wenn du aus diesem anerzogenen Schema des Frauseins aussteigst, ist immer wieder dasselbe Phänomen zu beobachten: Die Angst vor dem, was du als Mensch wirklich bist oder tatsächlich sein könntest, tritt erst einmal in den Vordergrund. „Was ist, wenn mein Körper nicht attraktiv ist, so wie ich bin?“ „Was, wenn ich mich in Luft auflöse, wenn ich all das weglasse, was mich als Frau definiert?“ „Wie reagieren die Menschen um mich, wenn ich tatsächlich so bin wie ich bin?“ „Bekomme ich jemals (noch) eine/n Partner/in ab?“ „Bin ich noch gesellschaftsfähig?“ Dich einmal mit dir selbst zu konfrontieren, rückt dich gewaltig aus
deiner inneren und äußeren Komfortzone. Meist wählen wir diesen Zustand nicht freiwillig. Das Leben drängt sich uns auf. Wir werden vom Partner verlassen, verlieren unsere gesellschaftliche Position oder werden ernsthaft krank, weil wir unser Leben nicht unserer inneren Natur entsprechend gestalten. Erst wenn sich unser Komfort durch äußere Umstände auf so ein geringes Maß reduziert hat, dass wir meinen, nicht mehr weiterexistieren zu können, begeben wir uns mehr oder weniger unfreiwillig hinein in diese Suche nach uns selbst. Besonders dann, wenn sich unser persönliches Frausein über unseren Partner und die damit verbundenen Handlungsmuster definiert, erleben wir diesen Schritt unweigerlich mit dem Verlust dieser Partnerschaft, oder wenn wir uns in einen neuen Lebensabschnitt als Frau begeben (Mutterschaft, Menopause) und sich unser Äußeres unaufhaltsam zu verändern beginnt.
Zurück zu deiner URNATUR
Du lebst in einer lauten und schnellen Zeit. Wenn du am Morgen erwachst, nimmst du dir vermutlich keine Zeit, um darüber nachzusinnen, wie du dich fühlst, was du jetzt brauchst, um in deiner Mitte zu sein und dich und dein authentisches Selbst zum Ausdruck zu bringen. Du duschst vielleicht, kleidest dich an, nimmst eine Tasse Kaffee zu dir und stürzt dich hinein in deinen übervollen Alltag. Der Tag gestaltet sich durch äußere Anforderungen, um dein gesellschaftliches Leben aufrechtzuerhalten. Du bewältigst deinen Beruf, strukturierst und gestaltest den Tag für deine Kinder und deine Familie und reagierst auf Impulse von außen. Doch was sind deine inneren Impulse? Was treibt dich von innen heraus an? Wird dein Alltag um dich zu schnell, zu strukturiert und die Einflüsse von außen zu dringlich und laut, werden die innere Stimme und dein innerer Impuls ganz rasch ganz leise. Sie verhallen und werden durch ein Gefühl der Müdigkeit, der Unzufriedenheit und viele nicht in sich vereinbare Emotionen und Bedürfnisse überlagert. Das Leben verlagert sich von einem Sein zu einem Müssen. Die Menschen, die dich umgeben, werden dann häufig zu einem Spiegel für alles, was du an dir selbst nicht mehr wahrnimmst – äußere Umstände werden zum Problem deklariert. Das ist der Versuch deiner inneren Natur, doch noch irgendwie zu dir durchzudringen und wahrgenommen zu werden. Manchmal versiegt der innere Impuls ganz. Dann fühlst du dich antriebslos und ausgebrannt – erlebst dich selbst in einem Burnout. Dann wird es höchste Zeit, sich wieder dem ureigenen inneren Impuls zuzuwenden, denn deine Art, dein Leben zu leben, entspricht nicht deiner Natur. Wenn ich mit Frauen arbeite, die wieder Zugang zu ihren inneren Impulsen finden wollen, gehe ich mit ihnen für mehrere Tage hinaus in die Natur und reduziere damit alle äußeren Einflüsse auf ein natürliches Maß. Sonne, Wind, Regen, Vogelgezwitscher, das Zirpen der Grillen im hohen Gras, das Rauschen des Baches, das Knistern des Feuers. Schon in kürzester Zeit werden innere Grundbedürfnisse wieder wahrgenommen: das Bedürfnis zu trinken, das Bedürfnis nach Wärme, das Bedürfnis nach Schutz vor Umwelteinflüssen wie Wind, Kälte, Hitze und Nässe und das Bedürfnis nach Nahrung. Gemeinsam helfen alle zusammen, um diese Grundbedürfnisse zu befriedigen. Dabei wird ganz deutlich, welche Fähigkeiten eine jede Frau mitbringt. Eine jede widmet sich automatisch dem, was sie am leichtesten und damit in Verbindung mit dem geringsten Energieaufwand bewältigen kann. Dabei wird nicht zwischen klassisch weiblichen oder männlichen Tätigkeiten unterschieden. Eine Axt fragt nicht nach, wer sie schwingt. So findet eine jede Frau Anerkennung für das, was sie im Sinne der Gemeinschaft leistet. Aus sich heraus. Wie sie dabei aussieht, ob sie dabei schneller und besser ist als eine andere und wie ihre Kompetenz auf ihr Gegenüber wirkt, spielt rasch keine Rolle mehr. Sind die Grundbedürfnisse gedeckt, entsteht auf einmal Raum für Erkundungen. Die Natur um uns ist eine Verführerin. Sie lädt ein, den eigenen Körper durch den Einfluss der Elemente ganz intensiv zu spüren, und im Erkunden der Natur auch die eigene Natur erwachen zu lassen. Der innige Kontakt mit der Natur ist heilsam. Alles wird langsamer. Alle kommen zur Ruhe. Die Schuhe werden abgelegt, und die Füße gewöhnen sich an achtsames und bewusstes Schreiten auf rauem Terrain. Die erste Nacht im Wald erweckt Urängste und am nächsten Morgen gibt es viel zu erzählen. Ist das dritte T-Shirt feucht und schmutzig, wird die Kleidung einfach weggelassen und man wärmt sich am Feuer, Körper an Körper. Langsam erwacht in jeder einzelnen Frau ein schlummerndes Wesen jenseits unseres Verständnisses von Frausein und wird in einer ganz einzigartigen Weise nach außen getragen. Die schwarze Kohle-Spur im Gesicht einer Frau, die vom Tragen des großen Wasserkessels herrührt, wird zu einem kunstvollen Ornament erweitert und einfach nicht mehr abgewaschen. Wird es um uns dunkel und leise genug, beginnt eine Frau ihre Stimme zu erheben und die Geschichtenerzählerin in ihr erwacht. Eine andere stimmt ein Lied an, hört sich zum ersten Mal singen und sie ist zu Tränen gerührt von ihrem eigenen Mut. Immer mehr spüren die Frauen, was aus ihnen heraus drängt – was sich offenbaren will. Einfach nur deshalb, weil jetzt – abseits der Norm und außerhalb des Alltäglichen – Raum dafür entstanden ist. Einer Frau gehen die Tampons aus. Was kann man denn stattdessen verwenden? Am Ende sucht sie sich eine weich bemooste Stelle am Rande des Waldsees, umhüllt sich mit einem großen Tuch und lässt ihr Blut einfach fließen. Eine weitere Frau gesellt sich zu ihr und sie vertiefen sich in ein inniges Gespräch über ihre Mondzeit und ihre Körper. Noch nie sind sie ihren Ängsten und Hemmungen so bewusst begegnet. Bisher war das eigene Blut etwas, das man vor anderen verbergen musste.
Am Nachmittag beginnt es zu regnen und wir versammeln uns am Wasser. Wir baden uns gegenseitig, während der Regen sich wie ein Segen von oben über uns ergießt. Die Frauen stimmen ein Lied an, das bis tief in den Wald hinein nachhallt. Ein magischer Moment. Dann genießt eine jede Frau eine entspannende Massage mit Kräuterölen durch die liebevollen Hände der anderen Frauen. Sich hingeben und genießen zu können, ganz ohne Hintergedanken oder Erwartungen, ist für viele eine ganz neue Erfahrung. Dann wird der eigene Körper geschmückt – mit Blüten, gesammelten Dingen aus der Natur und rotem Ocker. Die Frauen bemalen sich gegenseitig. Es wird viel gelacht, und die Stimmung ist durch die liebevolle Zuwendung ausgelassen und heiter. Mit dem Verwandeln der äußeren Erscheinung vollzieht sich langsam auch ein innerer Wandel. Durch das wachsende Vertrauen ineinander, beginnen uralte, felsenstarke Mauern und Überzeugungen zu bröckeln. Etwas will nach außen drängen. Eine innere Stimme, eine Bewegung, ein Schrei, ein schallendes Lachen. Die Trommeln erklingen und der Wald vibriert von der Kraft der Frauen, die alles, was sich da in ihnen ausbreiten will, nach draußen dringen lassen. Sie sind jenseits von dem angelangt, wie sie sich bisher als Frau gesehen und wahrgenommen haben. Und sie haben sich noch nie so lebendig und als sich selbst gefühlt. Als Frau. In einem wunderschönen Frauenkörper. Die Bewegungen der Frauen haben sich verändert. Sie bewegen sich jetzt von einem inneren Bewegt-sein heraus, in ihrem ureigenen Rhythmus. Mit leuchtenden Augen lassen wir den Abend am prasselnden Feuer unter einem plötzlich sternenklaren Firmament ausklingen. Eine magische Zeit geht zu Ende, und doch ist etwas in ihnen erwacht, was nie mehr verhallen wird. Die Wilde Frau – eine ursprüngliche, ungezähmte, authentischere Version ihrer selbst.
Dein persönlicher Weg zurück zur Wilden Frau in dir
Vielleicht bist du eines der glücklichen Geschöpfe da draußen, das nie gänzlich gezähmt wurde und das ihren inneren Impuls immer noch fühlen kann. Die Wilde Frau in dir ist wiederzuentdecken und kultivierbar, und zwar an jedem einzelnen Tag deines Lebens. Dafür braucht es keinen Urwald und auch keine Trommeln. Auf jeden Fall nicht unbedingt. Es ist ausreichend, damit zu beginnen, den Wecker eine Stunde früher als üblich zu stellen und den Morgen mit einer sehr wirkungsvollen neuen Routine zu begrüßen. Erkenne deinen weiblichen Körper und ehre ihn, wie er ist. Abseits jeder gesellschaftlichen Norm oder Prägung durch deinen Kulturkreis bist du eine Seele in einem menschlichen Körper. In einem weiblichen menschlichen Körper. Dieser Körper ist Teil der Natur. Er schwingt und verändert sich im Rhythmus der Natur. Dein Körper ist wie eine Landkarte und deine Geschichte ist darauf ablesbar wie aus einem offenen Buch. Er ist ein lebendiges Abbild deiner Gefühle und Überzeugungen. Die Natur hat ihn dir mit allen seinen individuellen Merkmalen zur Verfügung gestellt, um Weiblichkeit zu leben. Die Reise zu dir selbst und deiner ureigenen Weiblichkeit beginnt, wenn du dich selbst einmal völlig enthüllst, alles ablegst, was dich als Frau definiert – deine Kleidung, deinen Schmuck, dein Makeup – und dich einmal von oben bis unten wie eine lebendige Geschichte betrachtest. Beginne bei deinen Zehen, deinen Füßen und deinen Beinen und arbeite dich Zentimeter für Zentimeter aufwärts. Berühre einmal bewusst jeden einzelnen Zentimeter deines Körpers und nimm wahr, wie dein Körper fühlt und wie du dich anfühlst. Berühre deinen Bauch, deine Brüste, deinen Hals, dein Gesicht, deinen Kopf. Erfasse dich selbst mit allen Sinnen. Lecke deine Haut. Rieche deinen Körper. Lerne den Geschmack deiner Tränen und deines Schweißes kennen. Erforsche deine Vagina bis in ihre Tiefe. Nicht um Lust zu erfahren, sondern um sie einmal als Teil von dir wahrzunehmen. Koste dich selbst. Lerne deinen Körper in einer jeden Phase deines Zyklus kennen und beobachte seine Gesetzmäßigkeiten. Erinnere dich an die Geschichte einer jeden Narbe, die deinen Körper ziert. Du hast jeden Tag die Gelegenheit dazu, wenn du dich badest oder wäschst. Beginne, deinen Körper dabei bewusst wahrzunehmen, indem du nicht die Geschichte deines Tages oder der vergangenen Nacht abwäschst, sondern indem du dir selbst etwas Gutes tust und dich von dem reinigst, was du deinem weiblichen Körper jeden Tag auferlegst, was deinem Körper und deinem Wohlbefinden und deiner inneren Natur vielleicht gar nicht entspricht. Nimm ein geruchloses Öl (Sonnenblumenöl, Mandelöl) oder ein für dich angenehm duftendes Naturöl zur Hand und wiederhole diesen Akt der Achtsamkeit. Schenke deinem Körper Aufmerksamkeit. Massiere dich selbst an jeder zugänglichen Stelle deines Körpers. Bedanke dich dabei bei jeder Zone deines Körpers dafür, dass sie so ist, wie sie ist und würdige die Geschichte deines Körpers. Das, was du dir jeden Tag bewusst als dein Leben gewählt hast, hat ihn zu dem gemacht, was du jetzt bist. Deine Ernährung, deine Art, dich zu bewegen, deine ganze Geschichte. Schenke dabei vor allem jenen Bereichen deines Körpers Aufmerksamkeit, die du als störend empfindest. Warum ist das so? Was an dir kannst du nicht ertragen? Was fühlst du und woran denkst du, wenn du diese Stellen berührst? Wie verändert sich deine Selbstwahrnehmung mit der Zeit, wenn du dich auf diese Weise mit dir selbst auseinandersetzt?
Zurück zur Natur
Es gibt keinen effektiveren Weg zurück zur Natur in dir, als in die Natur zu gehen – dorthin, wo du herkommst. Nimm dir jeden Morgen und/oder Abend für einige Minuten Zeit, um dich mit der Natur, die dich umgibt, zu verbinden. Zieh deine Schuhe aus und spüre den Waldboden unter deinen Füßen, spaziere barfuß durch den Park oder rieche an der Rinde des Baumes im Innenhof. Gehe barfuß im Regen. Bade nackt in einem See oder Fluss. Erspüre Hitze und Kälte einmal ohne den Bedarf, dieser Empfindung sofort wieder entgegenzuwirken. Lass all diese Empfindungen deinen Körper durchfluten und beobachte, was sie in deinem Inneren bewirken. Am besten nimmst du dir ein Wochenende oder auch länger Zeit für eine Auszeit in der Natur, ganz für dich.
Deine Wahrnehmung schärfen
In der Natur bietet sich dir jede Möglichkeit, deine Wahrnehmung zu schärfen. Du kannst dich zum Beispiel in sicherem Terrain mit verbundenen Augen bewegen. Verbinde dir dafür die Augen mit einer Augenbinde und bleibe erst einmal ganz still. Lenke erst deine Aufmerksamkeit auf alles, was man hören und fühlen kann. Dann wende die Achtsamkeit zusehends nach innen. Du fühlst vielleicht Angst oder Unbehagen. Oder du spürst eine Neugierde und den Drang, einen Fuß vor den anderen zu setzen und deine Umgebung schrittweise zu erkunden. Geh barfuß Schritt für Schritt voran und achte auf alles, was du von außen und von innen an Impulsen wahrnehmen kannst. Du beginnst, dich in Bezug auf dein Umfeld ganz anders wahrzunehmen. Du spürst deutlicher, wie deine Umgebung auf dich einwirkt. Durch die geschlossenen Augen lenkst du deine Wahrnehmung auch verstärkt nach innen, und du kannst leichter erkennen, wie du Empfindungen wertest, wie das deine Handlungen beeinflusst und wie sich diese Emotionen mit der Zeit verändern, wenn du einfach weitergehst. Wenn du diese Erfahrung zum ersten Mal machst, ist es ratsam, dass du eine Begleitperson zur Seite hast, die dich aus einer geringen Distanz beobachtet, um dich gegebenenfalls vor möglichen Gefahren durch deine Umgebung zu warnen. Je schärfer deine Wahrnehmung wird, umso interessanter werden deine Beobachtungen in Bezug auf Menschen, Tiere und Pflanzen werden, die dir begegnen.
Deinen inneren Impuls spüren und ausleben
Die für mich wichtigste Kernroutine einer Wilden Frau ist das Erspüren und Ausleben des ureigenen inneren Impulses. Was so hochtrabend klingt, erleben wir immer wieder, wenn wir auf die Toilette müssen: Ich muss mal. Also tu ich es auch. Und zwar umgehend. Mit kaum einer anderen inneren Notwendigkeit verfahren wir auf diese Weise. Dabei wäre es so einfach. Und so anständig uns selbst gegenüber. Innere Impulse begleiten uns eigentlich ständig. Es ist unsere innere Stimme, unsere innere Führung, die uns Schritte machen und Entscheidungen treffen lässt, die aus dem Bauch heraus, völlig unbewusst und zu unseren Gunsten geschehen. Leider sind diese inneren Impulse kaum mehr wahrzunehmen, wenn dein innerer Radar durch alle möglichen Einflüsse von außen dauerhaft abgelenkt wird. Vor allem Handy, laute Musik, Fernsehen, Stress und große Menschenmengen um dich herum lassen jeden noch so starken inneren Impuls verhallen. Reduziere deine äußeren Einflüsse auf ein absolut nötiges Maß und beginne wieder, tief in dich hineinzuhören. Was fühlt sich gut an? Was in dir drängt nach draußen? Welche Bewegung? Laufen? Was wolltest du schon immer einmal über deine Lippen bringen? Welche Emotionen kursieren in deinem System, die dringend mal raus müssen? Nimm dir Zeit und Raum, alle diese inneren Impulse auszudrücken! Leise, laut, wild, sanftmütig – in Klängen, Farben und vor allem in Bewegung! Irgendwann entsteht in dir ein Gefühl von innerer Richtigkeit. Dein „True North“, wie man es in Anlehung an die Navigation nennt, nach dem sich all dein Sein und Handeln ausrichtet. Dein innerer Impuls wird zu deinem wichtigsten Tool, um in allen Lebenssituationen du selbst bleiben und so sein zu können, wie es sich für dich richtig, authentisch und deiner UrNatur entsprechend anfühlt.
Zeig dich, wie du bist
Lass mal eine Zeit lang alles weg, was wegzulassen geht. Kleidung, Schmuck, Make-up, Parfüm. Finde heraus, was wirklich deinem Inneren, deinem wahren Selbst entspricht. Und beginne dann, dich so zu zeigen, wie du wirklich bist. Ziere deinen Körper und fülle und erlebe ihn mit Achtung und Würde. Bringe dieses Gefühl in deiner persönlichen Art, dich zu kleiden, zu schmücken und zu bemalen, zum Ausdruck.
Lasse dein Gegenüber los
Verabschiede dich von dem Gedanken, dass eine andere Person in deinem Leben dich daran hindert, so sein zu können, wie du wirklich bist. Übernimm Eigenverantwortung für dein Sein. Entlasse dein Gegenüber aus dieser verschobenen Verantwortung und frage dich anstatt: „Was in mir lasse ich noch nicht erblühen? Welcher wichtigen Fähigkeit in mir konnte ich noch nicht Raum geben, dass man so mit mir umgehen kann?“ Es hindert dich niemand daran, die Frau zu sein, die du tief in dir wirklich bist. Zwischen dir und deiner Urkraft liegt nur die Angst vor dir selbst. Wilde Frauen sind manchmal für ihr Umfeld nicht sehr bekömmliche Wesen. Der Weg dorthin ist eine Metamorphose. Und es ist jeden Schritt wert. Be a Wild Woman! Dein Leben wird freudvoller und lebenswerter, wenn du den Mut findest, du selbst zu sein.
Isabella
Dieser Artikel war in der Herbstausgabe 2017 des Print-Magazins erschienen.
Diese und alle weiteren Ausgaben findest du hier.
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Autorin: Isabella Ulrich
Isabella ist Frauenbegleiterin, Dipl. Elternbildnerin und Autorin mehrerer Bücher. Sie lebt mit ihrer Familie und ihren Kindern im westlichen Wienerwald. In ihren Outdoor-Seminaren und Jahreskreisen bietet sie Frauen aller Altersstufen die Möglichkeit, wieder mit der UrFrau in sich in Kontakt zu treten, und ihr Leben ganz bewusst im Rhythmus ihrer eigenen UrNatur und der Natur um sich herum zu leben.