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Es waren die ersten Tage im Januar vergangen als mich eine E-Mail von Josephine erreichte. Sie erzählte mir, dass sie vor einem Jahr Mutter geworden war, ihre Tochter Liva jedoch frühzeitig im Mutterleib verstorben war. Ihre Geschichte berührte mich zutiefst, auch weil ich selbst als Regenbogenkind auf die Welt gekommen war. Das heißt, meine Mama verlor vor meiner Geburt meine Schwester im 3. Trimester. In meiner Kindheit und Jugend war sie – meine Schwester – immer präsent. Nicht für unsere Augen sichtbar, aber fühlbar. Erst als ich älter wurde, erzählte meine Mama etwas mehr darüber wie sie diesen einschneidenden Moment ihres Lebens damals erlebte. Und ich merkte über all die Jahre hinweg hat sich eigentlich im Umgang mit diesem Thema nicht viel geändert. Kaum jemand fühlt sich fähig damit umzugehen, wenn einer nahestehenden Person dieser Verlust passiert. Und so hatten Josephine und ich gleich die Verbindung zueinander, dass wir dieses Thema gern ins Bewusstsein bringen wollen. In ihrer E-Mail schrieb sie: “Ein Thema, das trotz des Schmerzes auch Lichtmomente bringen kann. Ich finde es sehr wichtig, auch dies mit anderen Frauen zu teilen. Ich würde mich sehr freuen, dir meine Geschichte zu erzählen und vielleicht Frauen, denen das gleiche widerfahren ist, Mut zu machen, sie zu stärken, dass sie sich als Mütter fühlen dürfen, weil sie es sind.” Mit dieser Intention entstand zunächst ein wunderschöner Brief, den sie an Liva schrieb und der Teil der Artikelsammlung “Die Tore des Lebens” der aktuellen Ausgabe geworden ist. 

 

“Liva heisst Leben, und das tue ich nun aus vollem, einem Herzen. Jeden einzelnen Tag – gemeinsam mit ihr und für sie.”

 

Nachdem mir Josephine ihren Brief an Liva geschickt hatte, hatte ich einige Fragen auf dem Herzen. Und sie war so lieb ihre Antworten mit mir und nun heute mit euch allen zu teilen. 

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Liebe Josephine,

es gibt ein paar Fragen, die mich bewegen. Diese schreibe ich dir nun einfach mal …

Welche Gefühle wurden in dir ausgelöst? Natürlich die Trauer, aber gab es z.B. auch Schuldgefühle, Scham oder andere Gefühle?

Der Tod von Liva hat in mir eine ganz neue Gefühlswelt geöffnet, die ich zuvor nicht kannte. Trauer sowie Traurigkeit kennt ein Jeder, doch nach einem so tiefen Verlust wird aus Trauer und Traurigkeit tiefste Verzweiflung und Leere bis hin zu Gefühlen, die ich bis heute nicht in Worte fassen kann. Ich habe das Gefühl gehabt tagtäglich durch einen Schleier zu schauen. Ein grauer Schleier, der sich auf meinen Augen niedergelassen hat. Doch auch ganz andere, mir ferne Gefühle von tiefster Scham anderen gegenüber und Schuldgefühlen mir selbst gegenüber kamen hoch. Jede Sekunde meiner Schwangerschaft bin ich in Gedanken durchgegangen. Der eine nicht gewaschene Apfel, der war es, das viele Treppensteigen, oder doch vielleicht der Flug nach Italien? Oder bin ich innerlich nicht bereit gewesen? All diese furchtbaren Fragen haben mich geplagt – man sucht nach Antworten, möchte dringend irgendwas oder irgendwen finden, wo man die Schuld abladen kann, wo man die Wut und Verzweiflung loswird. Zum ersten Mal war meine Angst vor dem eigenen Tod sogar verschwunden. 

Welchen Weg hast du für dich gefunden damit umzugehen?

Lange Zeit war ich in tiefster Trauer versunken und wusste keinen Weg hinaus – ich war zu 100 % davon überzeugt nie wieder aufrichtig zu leben. Dann kam eine Phase, in der ich mich unglaublich stark mit Schwangerschaft, Babys und Kindern konfrontieren wollte und dachte so den Schmerz zu überwinden. Dies führte dann lediglich dazu, dass nichts mehr funktionierte. Mein Körper, Geist und Seele waren umgeben von einem tiefen schwarzen Loch. Die einzigen Momente, in denen mein Herz leichter war, waren die Stunden beim Yoga. Mein ganzes Herz hungerte nach einer tiefen Verbindung zu mir und somit zu Liva. Alles was ich wirklich wollte und brauchte war Ruhe. Ruhe um meiner Trauer Zeit Raum zu geben, zu verstehen was passiert ist. Ich danke noch heute meiner besten Freundin, die mich fragte: Wenn du alles machen könntest ohne an jemanden oder etwas zu denken, was würdest du jetzt tun? Was würde deinem Herzen helfen? Meine Antwort war : Bali. Und somit bin ich 1 Monat später nach Bali gereist, habe Yoga gemacht und mir die Erlaubis zum trauern und heilen gegeben. 

Kannst du in dieser Erfahrung ein ganz besonderes Geschenk erkennen? Also für dich – deine Seele?  

Wenn ich die Ereignisse jetzt betrachte, den Prozess durch den ich und wir durchgegangen sind, sehe ich immer wieder das grösste Geschenk in ihr. Einfach in ihrem Dasein, egal wie kurz es war. Liva hat mich zu mir selbst geführt, mir einen neuen Weg, meinen Herzensweg eröffnet und gezeigt, was meine Aufgabe hier in meiner/ unserer Wirklichkeit ist. Ich habe meine eigene Stärke zu spüren bekommen, das Geschenk eine Frau sein du dürfen und das zu leben und lieben. Sie hat meinem Leben eine neue Richtung gegeben, den Weg geebnet – gehen muss ich ihn nun allein – aber mit ihr in meinem Herzen.

Konntest du zusammen mit dem Vater trauern? Gab/gibt es da Unterschiede bei dir und ihm?

Mein Partner und ich waren von der ersten Sekunde der Diagnose an, zusammengeschweisst wie noch nie zuvor. Wir haben uns wortwörtlich die ganze Zeit über (fest)-gehalten. Durch das starke Halten aber, gab es kaum Raum für ihn wirklich zu trauern. Meine Traurigkeit und das verlassene Gefühl im Bauch überschattete alles. Er wollte stark für mich sein. Seine höchste Priorität war es, dass wir es gemeinsam durch diese schwere Zeit schaffen – also muss einer die treibende Kraft sein. Doch wie können beide tatsächlich heilen, wenn der Eine der Fels in der Brandung für den Anderen ist. Loslassen hätte meinen Untergang bedeutet, also blieb er stets an meiner Seite und hat seine Gefühle verschlossen –  ich klammerte mich fest. Meine Zeit auf Bali hat uns beiden schlussendlich die Möglichkeit gegeben in die Trauer zu gehen, sich auf den eigenen Weg ins Licht, im eigenen Tempo zur Heilung zu machen. Ich bin stolz auf uns beide, dass wir jeder für uns einen individuellen Weg gefunden haben und es trotzdem auch schaffen immer wieder gemeinsam ein Stück weiter ins Licht zu gehen.

Wie war das Zusammentreffen mit deinem Umfeld? Hättest du dir etwas anders gewünscht?

Das Zusammentreffen mit meinem Umfeld war die erste Zeit sehr schwer für mich. Ich wollte niemanden sehen, der mich gut kennt und/oder mich schwanger gesehen hat. Hier war vor allem meine Scham zu spüren – der Bauch ist weg, alle werden es sehen, hinschauen und dann wird es zur Wirklichkeit werden. Am schwersten fiel es mir aber meinen eigenen Eltern, vor allem meiner Mutter, gegenüber. Sie wollte so gerne für mich da sein, doch ich konnte es kaum aushalten. Ich, die selbst gerade Mama geworden ist, fühlte mich in ihrer Gegenwart so klein und verletzlich und wusste, dass ich gerade bei der Geburt stark sein muss, mich erwachsen fühlen muss um diesen schweren Gang zu überleben. Erst im Rückblick kann ich sehen, wie schwer es auch mein Umfeld hatte. Nicht nur unsere Tochter, sondern die Enkeltochter unser Eltern, die Nichte unser Geschwister, die Cousine unserer Nichten und Neffen, die schon so präsent war, ist nicht bei uns und ihnen. Das was uns am meisten jedoch geholfen hat, waren die vielen Gedanken die zu uns kamen. Alle haben sich so liebevoll nach uns erkundigt und uns mit den besten Gedanken gesegnet. Ich hätte mir tatsächlich kein besseres Umfeld wünschen können und bin noch immer zu tiefst berührt wie jeder Einzelne von ihnen auf verschiedenste Art seine Anteilnahme gezeigt hat. Mir hat es gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir einander haben und offen miteinander umgehen. Wie wichtig und dankbar man sein kann für die Familie und Freunde, aber auch für die Menschen denen man auf diesem Weg begegnet, die einen ein Stück weit begleiten bis man seine eigenen Flügel wieder ausspannen kann und losfliegt.

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Liebe Josephine, ich bin von ganzem Herzen dankbar für diese Begegnung mit dir! <3 

DAS PRINT-MAGAZIN